Landesarbeitsgericht Hessen, Urteil vom 15.06.2015 - 16 Sa 1619/14
In einer Stellenanzeige wurde nach einer Bürohilfe gesucht. Als Anforderung wurde "Deutsch als Mut-tersprache" vorausgesetzt. Der in der Ukraine geborene Kläger, dessen Muttersprache russisch ist, bewarb sich auf eine befristete Stelle als Bürohilfe. Die Bewerbung des Klägers enthielt den Hinweis, dass er als Fremdsprache u.a. fließend Deutsch spricht. Auf Rückfrage wurde ihm mitgeteilt, dass die Stelle sehr schnell besetzt worden sei.
Das Landesarbeitsgericht Hessen vertritt die Auffassung, dass der Kläger durch das Auswahlkriterium "Deutsch als Muttersprache" wegen seiner Ethnie diskriminiert worden ist. Die Stellenausschreibung ist daher diskriminierend, da das Verlangen einer bestimmten Muttersprache knüpft an die ethnische Herkunft an. Der Kläger bekam wegen seines Schadens einen Anspruch auf eine angemessene Ent-schädigung in Geld zugesprochen.
Es liegen Indizien für die Vermutung vor, dass der Kläger wegen seiner Ethnie benachteiligt worden ist. Ausreichend für den erforderlichen Kausalzusammenhang ist, dass das verpönte Merkmal Be-standteil eines Motivbündels ist, welches die Entscheidung beeinflusst hat. Auf ein schuldhaftes Handeln oder gar eine Benachteiligungsabsicht kommt es nicht an.
Anknüpfungspunkt für die Vermutung einer Benachteiligung ist der Text der Stellenausschreibung. Diese stellt an erster Stelle die Anforderung "Deutsch als Muttersprache" auf. Ein Muttersprachler ist in der Regel eine Person, in dessen Elternhaus die betreffende Sprache gesprochen wurde, so dass die Sprache in engem Zusammenhang mit der ethnischen Herkunft steht. Der Begriff der Muttersprache knüpft daher an die Herkunft der betreffenden Person zu einem bestimmten Sprachraum an, die von dem einzelnen nicht beeinflusst werden kann. Mit der Anforderung "Deutsch als Muttersprache" werden sämtliche Bewerber, die nicht in ihrer frühen Kindheit ohne formalen Unterricht Deutsch lernten, wegen der Nichtzugehörigkeit zur deutschen Ethnie ausgeschlossen, unabhängig davon, ob und auf welchem Niveau sie die deutsche Sprache beherrschen.
Indem die Beklagte in der Stellenausschreibung "Deutsch als Muttersprache" als Anforderung für die Tätigkeit stellte, verstieß die Ausschreibung gegen § 7 Abs. 1 AGG, weil sie Bewerber, die Deutsch nicht als Muttersprache erlernt haben, wegen ihrer ethnischen Herkunft gem. § 1 AGG benachteiligt. Eine derartige Ausschreibung verstößt gegen § 11 AGG.
Mitgeteilt von
RAin Änne Dingeldein
Dingeldein • Rechtsanwälte
Alle Beiträge sind nach bestem Wissen zusammengestellt. Eine Haftung für deren Inhalt kann jedoch nicht übernommen werden.
04/2020 - Duales Studium - wann das BBiG gilt
07/2017 - Vorsicht: kein Durchbruch für Freelancer/freie Mitarbeiter durch BSG-Urteil
01/2017 - Schlechte Karten für Scheinbewerber!
01/2017 - Lohnzahlung: Arbeitgeber muss bei Verspätung Pauschale zahlen
01/2017 - Betriebsrente: Keine Hinweispflicht des Arbeitgebers
10/2016 - Kündigung per E-Mail?!
10/2016 - Arbeitsvertrag: Ausschlussklausel seit Oktober unwirksam
10/2016 - Bonuszahlung "auf Null" reduzieren unbillig!
09/2016 - Emojis als Kündigungsgrund
08/2016 - Kurzfristig Urlaub erschleichen?
08/2016 - Wie privat ist der Terminkalender am Arbeitsplatz?
08/2016 - Sachgrundlose Befristung - Rechtsmissbrauch?
08/2016 - Nachtschicht schieben - Zuschlag kriegen!
08/2016 - Wirksame Kündigung trotz Krankheit?
08/2016 - Fristlose Kündigung wegen privater Internetnutzung?
06/2016 - Länger zurückliegende sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz als Kündigungsgrund
06/2016 - Unterzeichnung "im Auftrag" sollte vermieden werden
06/2016 - Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot bei altersbedingter Kündigung
06/2016 - Kein Praktikumsvertrag über fünf Jahre
06/2016 - Einfach kündigen, weil Mitarbeiter ihren Kollegen nicht leiden können?
06/2016 - Urteil: Heimliche Videoüberwachung am Arbeitsplatz - Schadensersatz?
06/2016 - Urlaub nach Mutterschutz und Elternzeit - aufgeschoben ist nicht aufgehoben!
06/2016 - Jobcenter darf Trinkgeld nicht dem Einkommen anrechnen
06/2016 - Kein Präventionsverfahren in der Probezeit
05/2016 - Tricksereien beim Mindestlohn: Anrechnung des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes
05/2016 - Hat der Arbeitnehmer Anspruch auf einen rauchfreien Arbeitsplatz?
05/2016 - Kündigung wegen Inanspruchnahme von Elternzeit?
05/2016 - Frauen dürfen nicht weniger Lohn als die männlichen Kollegen bekommen
04/2016 - Anforderung "Deutsch als Muttersprache" in einer Stellenanzeige
04/2016 - Keine wirksame Abmahnung wegen 13 Minuten Verspätung
04/2016 - Eine Kündigung "zum nächst zulässigen Zeitpunkt" ist wirksam
03/2016 - Vorsicht beim Überstundenabbau! Wer krank wird, kann Pech haben.
03/2016 - Abfindung für Alle (1) - Konfliktfrei kündigen: Mitleid als Angriffsfläche
09/2013 - Abgeltung von Mehrarbeitszeit durch Pauschalvergütung
08/2012 - Zuviel des Guten? - Überstunden
06/2012 - Gleichheit nach dem AGG