Urteile Arbeitsrecht



Tricksereien beim Mindestlohn: Anrechnung des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25. Mai 2016, Az. 5 AZR 135/16

Kann man den Mindestlohn umgehen, indem Urlaubs- und Weihnachtsgeld darauf angerechnet wird? Nicht unbedingt, entschied das BAG. Auf den Zweck der Zahlungen komme es an.


Der Fall

Die Klägerin arbeitet in einer Caféteria, ihre Grundvergütung betrug 8,03 Euro pro Stunde. Dies liegt deutlich unter dem seit dem 1. Januar 2015 umgesetzten gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. Der Arbeitgeber behob das Problem, indem er das Urlaubs- und das Weihnachtsgeld über das ganze Jahr verteilt auszahlte. Auf diese Weise ist das Monatsgehalt der Klägerin auf 8,69 Euro gestiegen.


Das Grundsatzurteil des BAG

Die Zuschläge für Überstunden- sowie Sonn- und Feiertagsarbeit sowie die Jahres-Sonderzahlungen durften im vorliegenden Fall nicht auf Basis des Mindestlohns berechnet werden. Nur die Zuschläge für Nachtarbeit sind auf der Grundlage des gesetzlichen Mindestlohns zu berechnen.


Die Entscheidungsgründe

Das BAG stellt im Wesentlichen auf die Gesetzesbegründung des Mindestlohngesetzes ab: Leistungen wie Weihnachtsgeld oder ein zusätzliches Urlaubsgeld sind dann als Bestandteil des Mindestlohnes anzurechnen, wenn die Arbeitnehmer den Betrag jeweils zu dem für den Mindestlohn maßgeblichen Fälligkeitsdatum tatsächlich und unwiderruflich ausbezahlt erhal-ten. Sind diese Zahlungen zumindest auch eine Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleistung, dann können sie auch zum Nachteil des Arbeitnehmers berücksichtigt werden.

Nicht anrechnungsfähig sollen hingegen Entgeltbestandteile sein, die ausschließlich anderen Zwecken als der Abgeltung der Arbeitsleistung dienen, wenn also beispielsweise erbrachte oder zukünftige Betriebstreue durch eine Sonderleistung entlohnt werden soll.

Beim Urlaubsgeld ist also entscheidend, ob dadurch erhöhte Urlaubsaufwendungen zumindest teilweise abgedeckt werden sollen. Dann würde es sich um keine weitere Gegenleistung für die erbrachte normale Arbeitsleistung handeln und das Urlaubsgeld wäre nicht auf den Mindestlohn anrechenbar. Maßgeblich ist damit auch, ob das Urlaubsgeld von den Regelungen zum Urlaub abhängig ist oder ob es bloß eine saisonale Sonderleistung darstellt (BAG, Urt. v. 12.10.2010, Az. 9AZR 522/09, Rdnr. 24).

Der Zuschlag für die Nachtarbeit ist dagegen nicht auf den Mindestlohn anrechenbar, weil dem Mindestlohngesetz nicht entnommen werden könne, dass durch den Mindestlohn zugleich ein Ausgleich für Nachtarbeit erfolgen soll.

Bei Überstunden-, Feiertags- und Sonntagszuschlägen ist das anders zu bewerten. Es gilt der Grundsatz, dass Zuschläge oder Zulagen auf den Mindestlohn anrechenbar sind – es sei denn, das Gesetz billigt den Zuschlag oder der Zulage einen besonderen Zweck zu, welcher der Anrechnung auf den Mindestlohn entgegensteht.


Fazit

Urlaubs- und Weihnachtsgeld sind im Fälligkeitszeitraum auf den Mindestlohn anrechenbar, wenn sie zumindest auch eine Gegenleistung für die erbrachte Arbeitsleitung sind.

Verfolgen die Zahlungen andere Zwecke, können sie nicht auf den Mindestlohn angerechnet werden. So kann beispielsweise das Urlaubsgeld den Zweck verfolgen, erhöhte Aufwendungen im Urlaub abzudecken und ein Weihnachtsgeld dazu dienen, die vergangene und zukünftige Betriebstreue zu be-lohnen. Es kommt also maßgeblich auf die "richtige" Formulierung und Ausgestaltung an.

Mitgeteilt von
RAin Änne Dingeldein
Dingeldein • Rechtsanwälte

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