Im Folgenden soll aufgezeigt werden, wie leicht eine Arbeitgeberkündigung angegriffen werden kann, nur weil der Arbeitgeber den Grundsatz "weniger ist mehr" nicht beherrschte. Der Beitrag ist nicht nur für Arbeitnehmer, sondern auch für Arbeitgeber lehrreich.
"[…] Seit über 20 Jahren gehen wir nun beruflich gemeinsame Wege. Wir haben in dieser Zeit viel erlebt, auch manche Veränderung. Inzwischen bist du pensionsberechtigt und auch für uns beginnt ein neuer Lebensabschnitt in der Praxis. Im kommenden Jahr kommen große Veränderungen im Laborbereich auf uns zu. Dies erfordert eine Umstrukturierung unserer Praxis. Wir kündigen deshalb das zwischen uns bestehende Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der vertraglichen Frist zum 31.12.2013." (BAG, Urteil vom 23.07.2015 - 6 AZR 457/14)
Nachdem die Arbeitnehmerin diese Kündigung erhielt, erhob sie Klage mit dem Ziel, die Kündigung als unwirksam feststellen zu lassen und eine Entschädigung zu erkämpfen.
Auf den ersten Blick ist dies ein freundlich formuliertes Kündigungsschreiben, was auch die Absicht der Arbeitgeberin war. Was diese jedoch nicht ahnte: Die lieb gemeinten Worte sind mit einer Diskriminierung gleichzusetzen.
Aus dem Wort "pensionsberechtigt". Denn nach der Entscheidung des BAG vom 19.12.2013 - 6 AZR 190/12 sind Kündigungen bei Nichtanwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes unmittelbar an den Bestimmungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) zu messen. Dies wäre beispielsweise der Fall, wenn ein Arbeitsverhältnis noch keine 6 Monate besteht oder der Arbeitnehmer in einem Kleinbetrieb gemäß §23 KSchG beschäftigt ist. Folglich sind diskriminierende Kündigungen gemäß §7 Abs. 1 AGG i.V.m §134 BGB nicht nur unwirksam, sondern können im Einzelfall auch zu einer Entschädigung verpflichten.
Geschützt sind Rasse, ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion, Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexuelle Identität. Jedoch muss ein solches Merkmal nicht Hauptgrund oder gar alleiniger Grund einer Kündigung sein. Vielmehr reicht es aus, wenn es als kleiner Nebenaspekt zur Kündigung beigetragen hat. Im obigen Fall spielt das Wort "pensionsberechtigt" auf das Alter der Klägerin an und lässt dadurch eine Diskriminierung vermuten. Was die Arbeitgeberin bzw. die Beklagte beabsichtigte, ist irrelevant - die Vermutung einer Diskriminierung reicht für eine Klage aus. Denn diese verpflichtet den Arbeitgeber zu beweisen, dass die Vermutung nicht der Wahrheit entspricht.
Nun ist leicht erkennbar, dass eine Vermutung aufwerfen leichter ist, als diese zu widerlegen. In vorliegendem Fall hat die Klage die Unwirksamkeit der Kündigung sowie die Verpflichtung der Arbeitgeberin zu einer Entschädigung bewirkt, deren Höhe noch festgesetzt wird.
Das Kündigungsschreiben so kurz wie möglich halten. Ist gesetzlich oder vertraglich nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt, ist eine Begründung der Kündigung nicht erforderlich. Um auszuschließen, versehentlich sich selbst zu schädigen, sollte der Arbeitgeber folglich auf eine Begründung verzichten. Ist diese jedoch erforderlich, sollte die Gefahr der versehentlichen Selbstschädigung stets im Hinterkopf behalten werden.
Mitgeteilt von
RA Günther Dingeldein
Dingeldein • Rechtsanwälte
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