BAG, Urt. v. 15.12.2015, 9 AZR 52/15
Nimmt ein Elternteil Elternzeit in Anspruch, stellt sich häufig die Frage, wie lange Urlaub, der vor der Elternzeit nicht vollständig genommen wurde, nach Ende der Elternzeit noch genommen werden kann, insbesondere nach einer längeren Krankheitsphase.
Ob der vor der Elternzeit entstandene Resturlaub mit Ablauf des 31.12. des „nächsten Urlaubsjahrs“ erlischt, wenn die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer im laufenden und im ganzen nächsten Urlaubsjahr nach der Elternzeit durchgängig arbeitsunfähig erkrankt ist, wurde nun höchstrichterlich durch das Bundesarbeitsgericht entschieden.
Die Klägerin begehrte von der Beklagten nach Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses im Jahr 2014 eine Abgeltung ihres vertraglichen Jahresurlaubs von 30 Urlaubstagen aus dem Jahr 2011, den sie wegen Mutterschutz, Elternzeit und anschließender Arbeitsunfähigkeit nicht nehmen konnte.
Das BAG hat der Klägerin einen Anspruch auf Abgeltung von 30 Urlaubstagen aus dem Jahr 2011 zugestanden.
Die Klägerin hat trotz ihrer zeitweiligen Arbeitsunfähigkeit und der Beschäftigungsverbote im Jahr 2011 einen Anspruch auf 30 Urlaubstage erworben, da dieser allein vom rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses abhängt.
Der Urlaubsanspruch aus dem Jahr 2011 ist bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses im Jahr 2014 nicht erloschen: Die Klägerin habe infolge der mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbote ihren Urlaub aus dem Jahr 2011 nicht in diesem Urlaubsjahr nehmen können, so dass dieser Urlaub in das nächste Jahr nach Ablauf des letzten Beschäftigungsverbots übertragen worden sei.
Der Arbeitgeber habe den dem Arbeitnehmer zustehenden Urlaub, den dieser vor dem Beginn der Elternzeit nicht oder nicht vollständig erhalten habe (z.B. wegen Beschäftigungsverboten), nach der Elternzeit im laufenden oder im nächsten Urlaubsjahr zu gewähren.
Nach dem Fristenregime des § 17 Abs. 2 BEEG könne die Klägerin ihren Urlaub aus dem Jahr 2011 im gesamten Jahr 2013 als dem nächsten Jahr nach Ende der Elternzeit beanspruchen. Damit sei dieser unter den Voraussetzungen des § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG in das Jahr 2014 zu übertragen. Da die Klägerin nach dem Ende der Elternzeit durchgehend arbeitsunfähig krank gewesen sei, sei der Urlaubsanspruch nicht mit Ablauf des Urlaubsjahres 2013 erloschen, sondern in das Jahr 2014 übertragen worden. Die aus dem Jahr 2011 stammenden 30 Urlaubstage seien daher abzugelten.
Das „nächste Urlaubsjahr“ i.S.v. § 17 Abs. 2 BEEG und § 17 Satz 2 MuSchG ist nach dieser Entscheidung des BAG damit kein verlängerter Übertragungszeitraum, sondern „Urlaubsjahr“ i.S.v. § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG. Der nach diesen Regelungen aufgeschobene Urlaub ist urlaubsrechtlich daher genauso zu behandeln, wie der nach Ende der Beschäftigungsverbote bzw. nach Ende der Elternzeit neu entstehende Urlaub.
Das hat z. B. zur Folge, dass die Klägerin in dem o. g. Fall selbst bei einer Vertragsbeendigung im Jahr 2015 – vor dem 31.03.2015 – noch Urlaubsabgeltung für das Jahr 2011 hätte verlangen können, wenn sie auch im Jahr 2014 und im Jahr 2015 bis zur Vertragsbeendigung noch durchgehend arbeitsunfähig gewesen wäre. Denn in solchen Fällen gilt der Grundsatz, dass gesetzliche Urlaubsansprüche vor Ablauf eines Zeitraums von 15 Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres nicht erlöschen, wenn der Arbeitnehmer aus gesundheitlichen Gründen an der Arbeitsleistung gehindert war.
Mitgeteilt von
RAin Änne Dingeldein
Dingeldein • Rechtsanwälte
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