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Wann ein Vermächtnis gekürzt werden kann

In einem Testament können nicht nur Erben eingesetzt werden, sondern auch konkrete Gegenstände per Vermächtnis vermacht werden. Der Vermächtnisnehmer muss sich für die Erfüllung an die Erben halten, diese müssen sich um die ordnungsgemäße Verwaltung des Nachlasses entsprechend der letztwilligen Verfügung kümmern. Wann der Vermächtnisnehmer nicht bloß "die Hand aufhalten" kann, klären wir in diesem Artikel.


Erfüllung des Vermächtnisses

Grundsätzlich muss ein Erbe ein Vermächtnis bis zur völligen Ausschöpfung des Nachlasses erfüllen. Das kann bedeuten, dass für den Erben selbst am Ende nichts mehr übrigbleibt.

Das Vermächtnis wird mit dem Tod des Erblassers fällig, sofern im Testament kein anderer Zeitpunkt bestimmt ist.

Die Erfüllung eines Vermächtnisses stellt eine Nachlassverbindlichkeit dar, die wiederum erst mit Ablauf der Erbausschlagungsfrist nach sechs Wochen ab Kenntnisnahme vom Tod des Erblassers vom Erben wahrgenommen werden muss. Für den Fall, dass die Erfüllung des Vermächtnisses eine dingliche Sicherung im Grundbuch beinhaltet, wie beispielsweise die Eintragung eines Wohnungsrechts, ist dies erst mit Erhalt des Erbscheins möglich. Die tatsächliche Erfüllung kann demnach aus behördlichen Gründen bis zu einem Jahr andauern.

Es stellt sich konsequenterweise die Frage, was mit Mieteinnahmen, Zinsen und Reparaturen während dieser Schwebezeit geschieht: Der Erbe muss -sofern im Testament nichts anderes geregelt ist - nur tatsächlich erzielte Erträge an den Vermächtnisnehmer herausgeben, eine Entschädigung etwa wegen unterlassener Vermietung schuldet er nicht. Notwendige, also unaufschiebbare Reparaturen sind vom Vermächtnisnehmer zu ersetzen, andere Aufwendungen hat hingegen der Erbe zu tragen. Per se hat der Vermächtnisnehmer den vermachten Gegenstand im Zustand zum Zeitpunkt des Erbfalls zu übernehmen, z.B. auch Belastungen mit zu übernehmen.


Kürzung des Vermächtnisses

Das Vermächtnis kann allerdings ausnahmsweise gekürzt werden um einen geltend gemachten Pflichtteil, sofern der Erbe ansonsten zur Erfüllung des Vermächtnisses privates Vermögen einsetzen müsste und er dieses nicht aufbringen kann.

In vorliegender Konstellation hat dann ein Vermächtnis aufgrund der Möglichkeit der Kürzung plötzlich keinen Wert mehr:

Im Nachlass befindet sich eine Immobilie mit einem Wert von 400.000 Euro, die mit einem Wohnungsrecht mit einem Wert von 250.000 Euro belastet werden soll. Das übrige Nachlassvermögen beträgt 100.000 Euro. Der Pflichtteil würde das Barvermögen übersteigen, es beträgt 250.000 Euro.

Der Erbe hat kein privates Vermögen, aufgrund des Wohnungsrechts ist es im praktisch unmöglich, die Immobilie zu Geld zu machen. Dennoch kann der Erbe das Erbe annehmen, ohne in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten, indem sich der Vermächtnisnehmer den Pflichtteil anrechnen lassen muss, ansonsten sein Vermächtnis nicht durchsetzen kann.

Denn der Gesamtnachlass beträgt 500.000 Euro, der Pflichtteil und das Wohnungsrecht jeweils die Hälfte. So müssen Vermächtnis und Pflichtteil im Innenverhältnis in Höhe von 125.000 Euro ausgeglichen werden, d.h. sich der Vermächtnisnehmer am Pflichtteil beteiligen, um die Erfüllung seines Vermächtnisses durchsetzen zu können.

Diese gesetzliche Regelung erfolgt vor dem Hintergrund, dass der Pflichtteilsberechtigte stets vorrangig geschützt wird - der Vermächtnisnehmer aber nicht zulasten der Erben um jeden Preis.



Bickenbach, den 18.01.2022

Mitgeteilt von
RAin Änne Dingeldein
Dingeldein • Rechtsanwälte

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