URTEILE & KOMMENTARE
Behindertentestament


Begriffsbestimmung

Unter einem Behindertentestament versteht man im Erbrecht die Gestaltung eines Testamentes mit dem Ziel, dem Erben trotz seiner Erbschaft die volle staatliche Unterstützung zu erhalten, ohne dass das vererbte Vermögen hierfür eingesetzt werden muss.


Situation

In vielen Fällen sind die Pflegekosten so hoch, dass der Staat mit Sozialleistungen einspringen muss. Verfügt der behinderte Erbe nun über eigenes Vermögen, so muss dieses weitgehend für die Pflegekosten verwendet werden. Als Folge wird das geerbte Vermögen in Höhe der Kosten vom Sozialhilfeträger zurückgefordert.

Eine typische Gestaltung bildet hierbei die Anordnung einer Nacherbschaft bei gleichzeitiger Testamentsvollstreckung.


I. Im Rahmen eines gemeinsamen Testaments

  1. Die Ehegatten setzen sich gegenseitig als Alleinerben ein. Das entspricht einer Enterbung des Kindes. Daraus entsteht automatisch ein Anspruch auf den Pflichtteil für das Kind. Diesen Pflichtteil kann der Sozialhilfeträger auf sich überleiten nach § 93 SGB XII. Um dem vorzubeugen, sollte der Behinderte in dieser Konstellation auf seinen Pflichtteil verzichten. Dies muss notariell beurkundet werden. Ist der Behinderte nicht geschäftsfähig, muss das Betreuungsgericht den Pflichtteilsverzicht genehmigen.

    Nachteil: Das Vermögen wird geschützt, indem der Behinderte enterbt wird.

    BGH, Urteil vom 19.01.2011 - IV ZR 7/10: nicht sittenwidrig


  2. Das Ehepaar setzt in seinem gemeinschaftlichen Testament den überlebenden Elternteil zum Vollerben ein. Das behinderte Kind bestimmen sie zum beschränkten Vorerben. Sein Erbteil muss dabei geringfügig über dem Pflichtteil liegen, um zu vermeiden, dass das Erbe ausgeschlagen und stattdessen der Pflichtteil verlangt wird. Das zweite, nicht behinderte Kind erhält ein Vermächtnis. Um dem Vorerben Zuwendungen aus dem Erbe zu ermöglichen, kann ein Testamentsvollstrecker bestimmt werden. Dieser sorgt dann für den Behinderten und lässt ihm aus dem Erbe die festgelegten Zuwendungen zukommen, z.B. orientierend an zustehenden Erträgen eines Sozialhilfeempfängers.

    Vorteil: Das Vermögen wird vor dem Übergang auf den Sozialhilfeträger geschützt, der Behinderte profitiert aber dennoch vom Erbe.

    BGH, Urteil vom 20.10.1993 - IV ZR 231/92: nicht sittenwidrig


II. Im Falle des Getrenntlebens der Eltern

Wie Variante I.2. mit folgender Modifikation: Das Kind mit Behinderung wird als Vorerbe eingesetzt. Nacherben können dann z.B. Geschwister ohne Behinderung sein. Der Testamentsvollstrecker verwaltet die dem Erben mit Behinderung zustehenden Erträge.

BGH, Urteil vom 20.10.1993 - IV ZR 231/92: nicht sittenwidrig



Mitgeteilt von
RAin Änne Dingeldein
Dingeldein • Rechtsanwälte

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