ARTIKEL
Neues zum Elternunterhalt:
Das Angehörigen-Entlastungsgesetz


Was bewirkt das Gesetz?

Zum 1.1.2020 ist das Angehörigen-Entlastungsgesetz in Kraft getreten. Ziel der Neuregelung ist es unter anderem, eine große Anzahl von Kindern pflegebedürftiger Eltern von der Elternunterhaltspflicht zu befreien, wenn die Eltern ihre angemessene Pflege nur mit Unterstützung von Sozialhilfeträgern sicherstellen können. Nach der Neuregelung werden Kinder unterhaltsberechtigter Leistungsbezieher erst ab einem zu versteuernden Jahreseinkommen von mehr als 100.000 Euro pro Person für die Kosten herangezogen. Das gilt auch für die Eltern der Eltern, sollten diese noch leben. Das Gesetz richtet sich auch an die Eltern von Kindern, die wegen Behinderung pflegebedürftig sind und Unterstützungen vom Staat erhalten.

Das Angehörigen-Entlastungsgesetz hat keine Auswirkungen auf einen etwaigen Ehegattenunterhaltsanspruch des pflegebedürftigen Elternteils gegenüber dem anderen Eltern- bzw. Schwiegerelternteil. Ehegatten haben eine besondere gegenseitige familiäre Einstandspflicht, die sich aus gesetzgeberischer Sicht erheblich von der Unterhaltsverpflichtung der Kinder unterscheidet. Eine Entlastung von Ehegatten ist von der Reform nicht gewollt.

Ich will Ihnen hier eine kurze Einführung in die für den Elternunterhalt relevanten Regelungen des Angehörigen-Entlastungsgesetzes geben.


Ab wann gilt das Gesetz?

Das Gesetz hat keine Auswirkungen auf Regressansprüche, die vor dem 1.1.2020 entstanden sind. Das bedeutet: Hat der Sozialhilfeträger in der Vergangenheit Leistungen erbracht, müssen Sie diese bis einschließlich 31.12.2019 bezahlen. Erst für Zahlungen des Sozialhilfeträgers ab dem 1.1.2020 gilt die neue Rechtslage.


Was ist die "100.000 Euro - Grenze"?

Die 100.000 Euro - Grenze ist der eigentlichen Unterhaltsberechnung vorangestellt. Nur wenn Anhaltspunkte vorliegen, dass Sie diese Grenze überschreiten, sind Sie zur Auskunft verpflichtet, und der Elternunterhalt wird nach den bisher geltenden Grundsätzen berechnet.

In das Jahresbruttoeinkommen werden sämtliche Einnahmen eingerechnet, also insbesondere
- Erwerbseinkommen,
- Renteneinkünfte,
- Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung,
- Einnahmen aus Kapital und
- Steuerrückerstattungen.

Abgezogen werden Werbungskosten, Steuerfreibeträge, Sonderausgaben, Vorsorgeaufwendungen etc. Wenn Sie unter die Grenze fallen, müssen Sie keinen Unterhalt zahlen. Die Grenze gilt für jedes Kind gesondert. Es werden also nicht etwa die Einkünfte von Geschwistern zusammengerechnet. Bei der Ermittlung der 100.000 Euro wird auch der Ehegatte nicht berücksichtigt, es geht allein um die Einkünfte des unterhaltspflichtigen Kindes selbst.

Anders als bisher wird allerdings vorhandenes Vermögen nicht berücksichtigt.


Wie ermittelt das Sozialamt, was ich verdiene?

Es wird gesetzlich vermutet, dass Sie über ein geringeres Einkommen verfügen als 100.000 Euro. Das bedeutet, dass der Sozialhilfeträger anders als bisher nicht mehr ohne weiteres von Ihnen Auskunft über Ihre Einkommensverhältnisse verlangen darf, sondern nur wenn hinreichende Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass Ihr Einkommen höher ist.

Welche Anhaltspunkte "hinreichend" sind, ist im Gesetz nicht definiert. Ich vermute, dass viele Sozialhilfeträger trotz der Gesetzesänderung nach wie vor Auskunftsformulare verschicken werden und dass es hierüber vielfach gar nicht zum Streit kommen wird. Für viele Betroffene, die klar unter der Grenze liegen, dürfte es nämlich einfacher sein, die Auskunft schlicht zu erteilen, statt sich ggf. mit anwaltlicher Unterstützung mit der Behörde um den Auskunftsanspruch zu streiten.

Korrekt wäre ein solches Vorgehen natürlich nicht. Der Träger der Soziallhilfe darf und muss vielmehr von den leistungsberechtigten Eltern Angaben verlangen, die Rückschlüsse auf die Einkommensverhältnisse der Kinder zulassen. Das können etwa sein:

  • Einkommensangaben der Kinder aus anderen Verfahren beim selben Sozialhilfeträger
  • Angaben der Eltern, dass die Kinder Berufe ausüben, bei denen man erfahrungsgemäß sehr gut verdient (Chefarzt, Wirtschaftsprüfer, Notar etc.)
  • Angaben zu mehreren Mietobjekten, da auch dies auf Einnahmen hindeutet, die das Einkommen deutlich erhöhen.
Die Behörde darf auch allgemein zugängliche Informationen verwerten, z.B. Zeitungsartikel, Internetblogs etc.


Was ist, wenn ich die 100.000 Euro - Grenze überschreite?

Wenn Sie diese Grenze überschreiten, müssen sich nach den familienrechtlichen Unterhaltsvorschriften auch weiterhin an den Pflegekosten beteiligen. Hier gelten die bisherigen Regelungen zum Elternunterhalt unverändert fort. In welcher Höhe Sie herangezogen werden kann, richtet sich also bei Verheirateten auch weiterhin danach, was der Ehegatte oder die Ehefrau jeweils verdienen. Verdient der Ehegatte schlecht oder gar nichts, reduziert sich die Unterhaltsverpflichtung des Kindes. Verdient Ihr Ehepartner oder Ihre Ehepartnerin selber sehr gut oder deutlich besser als das betroffene Kind, kann sich das negativ auf die Unterhaltsverpflichtung auswirken. Auch hier gibt es gegenüber der bisherigen Rechtslage keine Änderungen.


Verwertung von Schenkungen und vertraglichen Ansprüchen

Das neue Angehörigenentlastungsgesetz hat keine Auswirkungen darauf, wie Schenkungen der Eltern an ihre Kinder behandelt werden. Haben Sie in den letzten zehn Jahren Zuwendungen erhalten und sind die Eltern nun nicht mehr in der Lage, ihre Pflege selbst zu finanzieren, können diese nach wie vor zurückgefordert werden. Hierbei handelt es sich nicht um eine unterhaltsrechtliche Forderung, sondern um einen zivilrechtlichen Anspruch, eine geldwerte Forderung, die das Vermögen der Eltern erhöht. Das gleiche gilt, wenn Sie sich vertraglich zu Leistungen an die Eltern verpflichtet haben. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass zukünftig die Sozialämter vermehrt die Verwertung von Nießbrauchs- und Wohnungsrechten fordern, wenn die Eltern pflegebedürftig geworden sind.

präsentiert von Kanzlei Dingeldein Rechtsanwälte

Mitgeteilt von
RA Martin Wahlers
Fachanwalt für Erb-, Familien- u. Versicherungsrecht; Mediator
Dingeldein • Rechtsanwälte

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