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Darf der Arbeitgeber im Kündigungsschutzverfahren neue Kündigungsgründe nachschieben?


Die Situation

Ein Mitarbeiter wird wegen eines Vergehens gekündigt. Doch im Prozess zeigt sich, dass der Grund dafür nicht ausreicht. Kann der Chef einfach einen anderen Grund nennen?


Die rechtliche Einschätzung

Grundsätzlich darf sich ein Arbeitgeber Kündigungsgründe nicht im Nachgang überlegen.

Aber unter recht eingeschränkten Umständen können Arbeitgeber die Gründe für eine Kündigung in einem laufenden Prozess nachschieben, wenn ein Arbeitgeber erst nach dem Ausspruch einer Kündigung von einem weiteren, viel gravierenderen Grund erfährt.


Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Ja, wenn der Grund bereits bei Kündigungszugang vorlag

Das Bundesarbeitsgericht stellt klar, dass auch später bekannt gewordene Tatsachen, die den ursprünglichen Verdacht abschwächen oder verstärken, berücksichtigt werden können, wenn sie bei Kündigungszugang objektiv vorlagen. Das gilt auch für solche Umstände, die den Verdacht eines eigenständigen – neuen – Kündigungsvorwurfs begründen.

Nein, wenn der Grund erst nach Zugang der Kündigung entsteht
Bei Tatsachen, die erst nach dem Zugang der Kündigung entstehen, ist ein Nachschieben natürlich nicht möglich. Unzulässig ist es auch, die Kündigungsgründe erst im Prozess so auszuwechseln, dass die Kündigung einen völlig anderen Charakter erhält. Insoweit wird der Arbeitgeber dann immer den Ausspruch einer neuen Kündigung in Erwägung zu ziehen haben.

Anders, wenn es einen Betriebsrat im Unternehmen gibt

Allerdings sind nachgeschobene Gründe nicht einfach so möglich, wenn ein Betriebsrat vor dem Ausspruch einer Kündigung angehört werden muss. In einem solchen Fall muss der Betriebsrat erneut zu den erweiterten Tatsachen angehört werden.

Kenntnis bei Ausspruch der Kündigung
Hat der Arbeitgeber bereits bei Ausspruch der Kündigung von weiteren schwerwiegenden Kündigungsgründen Kenntnis gehabt und teilt er diese dem Betriebsrat zur Anhörung der Kündigung nicht mit, dann wäre ein Nachschieben der Kündigungsgründe im Prozess unzulässig. Denn auch für diese Gründe hätte der Betriebsrat zur Kündigung angehört werden müssen. Und das hat wiederum zur Folge, dass diese Gründe im schon laufenden Kündigungsschutzprozess keine Berücksichtigung mehr finden können.

keine Kenntnis bei Ausspruch der Kündigung
Anders verhält es sich, wenn der Arbeitgeber erst nach dem Ausspruch der Kündigung Kenntnis davon erlangt hat, dass er dem Arbeitnehmer schon vorher wegen schwerer Vergehen hätte kündigen können – dann kann er diese Gründe auch noch im laufenden Kündigungsschutzprozess nachträglich heranziehen.

Mitgeteilt von
RAin Änne Dingeldein
Dingeldein • Rechtsanwälte

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