ARTIKEL

Die Unterbreitung eines Aufhebungsvertrags zur sofortigen Annahme

Das Gebot fairen Verhandelns ist ein vom BAG im Grundsatzurteil vom 07.02.2019 - 6 AZR 75/18 erstmals anerkanntes Rechtsinstitut als Wirksamkeitsvoraussetzung für Arbeits- und Aufhebungsverträge. Es folgt aus § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB iVm. § 241 Abs. 2 BGB. Eine unfaire Verhandlungssituation liegt nach Ansicht des BAG dem- nach vor, wenn aufseiten des/der Arbeitnehmer/in eine psychische Drucksituation geschaffen oder ausgenutzt wird, durch die eine freie und überlegte Entscheidung erheblich erschwert oder unmöglich gemacht wird. Durch ein neues Urteil des BAG vom 24.02.2022 - 6 AZR 333/21 wird das Rechtsinstitut näher konkretisiert.


Sachverhalt

Die Klägerin war Arbeitnehmerin und sah sich mit dem Vorwurf einer Straftatkonfron- tiert. Dies war sodann Gegenstand eines Gesprächs zwischen den Beklagtenvertre- tern und der Klägerin, ohne dass diese vor dem Gespräch darüber in Kenntnis ge- setzt wurde. Ihr wurde dabei ein vorformulierter Aufhebungsvertrag zur sofortigen Annahme vorgelegt. Die Klägerin behauptete, ihr sei für den Fall der Nichtunter- zeichnung mit einer außerordentlichen Kündigung sowie mit der Erstattung einer Strafanzeige gedroht worden. Des Weiteren sei ihr gesagt worden, dass sobald sie den Raum verlasse, wäre der Vertrag vom Tisch. Deshalb habe sie sich dazu be- stimmen lassen, den Vertrag zu unterzeichnen und focht diesen wenig später wegen widerrechtlicher Drohung an.


Bisherige Rechtslage

Durch das Urteil des BAG aus dem Jahre 2019 entstand auf Arbeitgeberseite große Unsicherheit. Das führte dazu, dass Arbeitgeber zurückhaltend in Bezug auf Aufhe- bungsverträge zur sofortigen Annahme blieben, um nicht zu riskieren, dass der Ver- trag wegen unfairen Verhandelns angefochten und für unwirksam erklärt werden würde. Sie gaben sich also auch mit längerer Bedenkzeit zufrieden.


Entscheidungsgründe des BAG, Urt. v. 24.02.2022 - 6 AZR 333/21

Nach den Ausführungen des BAG sei eine Drohung mit einer außerordentlichen Kündigung und dem Erstatten einer Strafanzeige nur widerrechtlich, sofern ein ver- ständiger AG dies nicht ernsthaft in Erwägung ziehen durfte. Vorliegend sei jedoch von einer besonderen Schwere der Pflichtverletzung auszugehen, weshalb ein verständiger Arbeitgeber nicht zunächst eine Abmahnung in Betracht gezogen hätte. Im Übrigen gelte der Prüfungsmaßstab eines verständigen Arbeitgebers auch dann, wenn auf dessen Seite ein Rechtsanwalt anwesend ist oder dieser die Drohung gar selbst ausspricht. Ist die Drohung nun also nicht widerrechtlich erfolgt, kann dies auch keine Pflichtverletzung des Arbeitgebers gemäß § 311 Abs. 1 Nr. 1 BGB iVm. § 241 Abs. 2 BGB darstellen.

Ferner entschied das BAG, dass der Arbeitgeber das Gebot fairen Verhandelns nicht einfach nur aus dem Grund verletzt, weil er den Aufhebungsvertrag nur zur sofortigen Annahme unterbreitet. Dies entspreche sogar dem gesetzlichen Leitbild, dass unter Anwesenden unterbreitete Angebote grundsätzlich nur sofort angenommen werden können (§ 147 Abs. 1 S. 1 BGB). Es verbleibe schließlich nach Ansicht der höchst- richterlichen Rechtsprechung die Möglichkeit schlicht und ergreifend "Nein" zu sa- gen, um der Situation zu entkommen. Ergänzend führt das BAG aus: "Dass dies nur um den Preis des Verlustes des Aufhebungsvertragsangebots möglich ist, stellt sich dann nicht als unfair dar, sondern ist ein im Rahmen von Vertragsverhandlungen zu- lässiger Druck, mit dem der Arbeitgeber auf legitime Weise versucht, sein Verhand- lungsziel zu erreichen." Ausgehend davon stelle es auch kein unfaires Verhandeln dar, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer keine weitere Bedenkzeit einräumt o- der die Einholung eines Rechtsrates verwehrt und dem Arbeitnehmer zu verstehen gibt, dass er das Aufhebungsvertragsangebot nicht weiter aufrechterhält, sollte der Arbeitnehmer den Raum verlassen.


Fazit

Das Rechtsinstitut des Gebots fairen Verhandelns bleibt ein unbestimmtes und aus- legungsbedürftiges Rechtsinstitut. Ob in einer konkreten Situation das Mindestmaß an Fairness gewahrt ist, lässt sich nur unter Betrachtung der Gesamtumstände des Einzelfalls feststellen. Jedoch wurden durch das Urteil des BAG aus dem Jahre 2022 die Konturen deutlicher und wichtige Unklarheiten beseitigt.



Bickenbach, den 20.07.2022

Mitgeteilt von
Praktikant Sven Bickel
Dingeldein • Rechtsanwälte

Alle Beiträge sind nach bestem Wissen zusammengestellt. Eine Haftung für deren Inhalt kann jedoch nicht übernommen werden.