Auch vor dem Homeoffice machen sexuelle Übergriffe keinen Halt. Sexuelle Belästigungen ohne Körperkontakt treten vermehrt in Chats, Videocalls und auch per Mail auf, einvernehmliche Lösungen in diesen virtuellen Bereichen, fällt schwer. Für ein langfristig gutes Mitarbeiter sollten Arbeitgeber dennoch den Konflikten geradlinig begegnen.
Die Pflichten des Arbeitgebers ergeben sich aus dem Grundgesetz der Berufsfreiheit, woraus abgeleitet wird, dass er Verdachtsfällen nachgehen und entsprechende Konsequenzen einleiten muss. Bei einem Verstoß drohen dem Arbeitgeber Schadensersatzansprüche nach § 15 I AGG beispielsweise wegen Therapiekosten und auch Entschädigungsansprüche nach § 15 II AGG, ganz abgesehen von Imageschäden bis hin zu sogar Shitstorms.
Der Arbeitgeber tut daher gut daran, bereits Maßnahmen zur Prävention zu ergreifen. Das Gesetz verlangt von ihm, sich Kenntnis zu verschaffen. In der Praxis lässt sich das gut über das Angebot von Schulungen umsetzen. Schwerpunkt der Schulung sollte die Klarstellung sein, dass der Arbeitgeber sich aktiv gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz engagiert, auch kleinste verbale sexuelle Belästigungen arbeitsrechtliche Konsequenzen mit sich tragen können und daher an den Arbeitgeber im Vertrauen herangetragen werden können - oder noch besser an eine im Unternehmen von den Mitarbeitern zu wählende Vertrauensperson. Jeder Fall muss im Betrieb zur Anhörung führen, damit sich einerseits der Arbeitgeber ein Bild davon machen kann, ob sich der Verdacht bestätigt und andererseits dem Beschuldigten die Möglichkeit eingeräumt wird, sich zu erklären - oder gegebenenfalls auch sich zu entschuldigen.
In sensiblen Bereich der sexuellen Belästigung gilt nicht die Faustformel Aussage gegen Aussage, da das vermeintliche Opfer schützenswert ist. Fakt ist, dass das allgemeingegenwärtige Anstandsgefühl sich einerseits von Person zu Person unterscheidet und andererseits am Arbeitsplatz strengere Regeln bezüglich des Umgangs miteinander gelten als anderswo, wo man sich gegebenenfalls einer Konfrontation auch entziehen könnte. Unsachliche E-Mails, unerwünschte Fotos, Witze und zweideutige Kommentare sollten in jedem Fall eine arbeitsrechtliche Konsequenz mit sich ziehen, um die Ernsthaftigkeit zu verdeutlichen.
Hat das zur Konsequenz, dass keine Komplimente mehr verteilt werden können, ist das zwar zu bedauern, für ein professionelles Miteinander allerdings in jedem Fall vorzugswürdig.
Bickenbach, den 16.11.2022
Mitgeteilt von
RAin Änne Dingeldein
Dingeldein • Rechtsanwälte
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