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Pflichtteilsanspruch trotz Erbausschlagung?

Das Erbe mitsamt der damit einhergehenden Verpflichtungen wie Verwaltung und Tilgung der Nachlasskosten ausschlagen und trotzdem den Pflichtteil verlangen, indem man gegenüber den übrigen Erben eine Barzahlung verlangt - das funktioniert in der Regel nicht! Denn mit der Erbausschlagung verzichtet der Erbe freiwillig auf die Erbschaft, sodass er damit auch seinen Pflichtteilsanspruch verliert.

In einigen Ausnahmekonstellationen bleibt allerdings trotz der Erbausschlagung der Pflichtteilsanspruch erhalten und stellt die günstigere Variante zur Erbschaft dar, da der Pflichtteil auf Geld gerichtet ist und unmittelbar nach dem Erbfall geltend gemacht werden kann:


1. Ehegatte im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft

Schlägt der überlebende Ehegatte das Erbe aus, behält er seinen Pflichtteilsanspruch, sofern er mit dem Erblasser keinen Ehevertrag geschlossen hatte. Der Ehegatte hat nach dem gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft ausnahmsweise ein Wahlrecht zwischen der Erbschaft und dem Pflichtteil.

So kann er aus taktischen Gründen sogar auch den sogenannten "großen" Pflichtteil geltend machen, nämlich eine Kombination aus familienrechtlichem Zugewinn und erbrechtlichen Pflichtteil.


2. testamentarisch belasteter Erbteil

Ist der Erbteil des Pflichtteilsberechtigten im Testament des Erblassers mit einer Beschränkung oder Beschwerung belastet, kann der Erbe die Erbschaft ausschlagen, ohne hierdurch seinen Pflichtteilsanspruch zu verlieren. Das Erbe ist belastet, wenn es mit einem Vermächtnis oder einer Auflage beschwert ist, durch die Einsetzung eines Nacherben, die Ernennung eines Testamentsvollstreckers oder eine Teilungsanordnung.

Bei uneindeutigen testamentarischen Anordnungen muss im Zweifel der tatsächliche Wille des Erblassers ausgelegt werden.


3. Vermächtnisnehmer und Vermächtnisausschlagung

Anders als der Erbe behält der Vermächtnisnehmer, der als Pflichtteilsberechtigter im Testament ein Vermächtnis erhält, auch im Falle der Ausschlagung des Vermächtnisses stets seinen Pflichtteil bei Beanspruchung. Auch er darf uneingeschränkt zwischen dem Vermächtnis und dem Pflichtteil wählen.

Aus taktischen Gründen bei Interesse am jeweiligen Vermächtnis kann er ebenfalls eine Kombination aus Vermächtnis und Pflichtteil geltend machen für den Fall, dass der Pflichtteil das Vermächtnis übersteigen würde.


Fazit

Der Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsanspruch muss binnen drei Jahren seit Erbfall geltend gemacht werden muss, ist die Ausschlagung des Vermächtnisses nicht fristgebunden. Um dennoch Rechtssicherheit zu erlangen, kann der Erbe dem Vermächtnisnehmer allerdings eine Frist zur Annahme des Vermächtnisses setzen, bei fruchtlosem Verstreichenlassen gilt das Vermächtnis als ausgeschlagen

Insbesondere auslegungsbedürftige Testamente bereiten Schwierigkeiten bei der rechtlichen Einordnung, ob ein Pflichtteilsanspruch trotz Ausschlagung besteht oder nicht. Zur Hemmung der Verjährung muss Stufenklage erhoben werden und im Rahmen des Auskunftsbegehrens geklärt werden, ob trotz Erbausschlagung überhaupt eine der vorgenannten Ausnahmen einschlägig ist und hieraus ein resultiert.



Bickenbach, den 30.10.2023

Mitgeteilt von
RAin Änne Dingeldein
Dingeldein • Rechtsanwälte

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