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Möglichkeit der einstweiligen Verfügung exklusiv in Hessen:
keine Verlegung eines Betriebsteils ohne Einbeziehung des Betriebsrats

Wird ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats vom Unternehmen übergangen, kann der Betriebsrat per einstweiliger Verfügung sämtliche Umstrukturierungspläne des Arbeitgebers boykottieren. Dieses Vetorecht wird von den Gerichten nicht in allen Bundesländern gleichermaßen ausgelegt - in Hessen gilt: Eine Übergehung des Betriebsrats kann das Unternehmen teuer zu stehen kommen.


Auflösung eines Standortes und Verlegung des Betriebsteils an einen anderen Standort

Die unternehmerische Entscheidung, einen Standort komplett aufzulösen und den Betriebsteil an einen anderen Standort zu verlegen, unterliegt der Mitbestimmung des Betriebsrats. Dabei ist es irrelevant, wie weit die betroffenen Standorte voneinander entfernt sind: Sobald den Arbeitnehmern ein wirtschaftlicher Nachteil droht, beispielsweise durch hierdurch entstehende Fahrt- und Umzugskosten, aber auch durch nachteilig veränderte Vereinbarungen, wenn ein Arbeitnehmer nicht mit umziehen möchte, geht die höchstrichterliche Rechtsprechung von einem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus. Dieses kann somit auch dann vorliegen, wenn der Standort innerhalb einer Stadt mit lediglich einer Distanz von drei Kilometern vollständig verlegt wird.


Eigenständige Betriebsteile, Betriebsverlegung bzw. Betriebsschließung

Neben der Tatsache, dass das Mitbestimmungsrecht erst dann einschlägig wird, sofern der betroffene Betriebsteil über 20 Mitarbeiter beschäftigt und mindestens fünf Arbeitnehmer von der Maßnahme betroffen sind, muss der Standort abgrenzbar und mithin eigenständig von anderen Betriebsteilen des Unternehmens sein und der betroffene Betriebsteil vollständig aufgelöst bzw. verlegt werden. Häufiges Indiz für das Vorliegen der Voraussetzung der Eigenständigkeit des Betriebsteils ist es, wenn dieser Betriebsteil einen eigenen Betriebsrat gewählt hat.


Interessenausgleich und Sozialplan

Liegen vorgenannte Voraussetzungen vor, dient es dem Schutz der betroffenen Belegschaft, dass zwischen dem Betriebsrat und dem Arbeitgeber ein Interessenausgleich stattfindet und ein Sozialplan gemacht wird. Während im Interessenausgleich konkrete mit der Verlegung einhergehende Maßnahmen festgehalten werden, werden die hierdurch entstehenden wirtschaftlichen Nachteile über den Sozialplan ausgeglichen. Solche stellen zumeist Abfindungsregelungen bei Kündigungen dar, können aber auch fahrt- und Umzugskosten betreffen.


Nachteilsausgleich bei Betriebsänderungen ohne Interessenausgleich

Für den Fall, dass der Betriebsrat nicht tätig werden sollte und kein Interessenausgleich stattfindet, werden die betroffenen Arbeitnehmer über die §§ 111, 113 BetrVG geschützt: Danach entsteht bei Betriebsänderungen ohne Interessenausgleich ein Nachteilsausgleichsanspruch für die Mitarbeiter, d.h. ausnahmsweise ein gesetzlicher Anspruch auf eine Abfindung im Falle einer mit der Verlegung einhergehenden Änderungskündigung.



Bickenbach, den 03.08.2021

Mitgeteilt von
RAin Änne Dingeldein
Dingeldein • Rechtsanwälte

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