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MPU schon ab 1,1 Promille! Nordhessische Führerscheinstelle wird bestätigt

Bisher war es auch in Hessen gängige und gesetzliche Praxis, dass bei Ersttätern wegen Trunkenheit im Verkehr unter 1,6 Promille im Rahmen der Neuerteilung der Fahrerlaubnis keine medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) angeordnet wurde. Dem ist das Bundesverwaltungsgericht jetzt mit Urteil vom 17.03.2021 entgegengetreten.

In 13 FeV (Fahrerlaubnis-Verordnung) ist insoweit ausdrücklich geregelt:

"Zur Vorbereitung von Entscheidungen über die Erteilung oder Verlängerung der Fahrerlaubnis oder über die Anordnung von Beschränkungen oder Auflagen ordnet die Fahrerlaubnisbehörde an, dass

  1. ...
  2. ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist, wenn

a) nach dem ärztlichen Gutachten zwar keine Alkoholabhängigkeit, jedoch Anzeichen für Alkoholmissbrauch vorliegen oder sonst Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen,

b) wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinfluss begangen wurden,

c) ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 Promille oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt wurde..."

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Ein Autofahrer war bei einer Routinekontrolle ohne irgendwelche Ausfallerscheinungen überprüft worden. Der Strafrichter beim Amtsgericht Kassel hatte ihn zu einer Geldstrafe verurteilt, die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist bestimmt. Auf den Neuerteilungsantrag hatte die dann zuständige Führerscheinstelle die MPU angeordnet. Widerspruch und Klage vor dem VG Kassel bzw. das Rechtsmittel vor dem VGH Kassel (Verwaltungsgerichtshof (VGH) Kassel, Urteil vom 22.10.2019, Az.: 2 A 641/19 – Verwaltungsgericht (VG) Kassel, Urteil vom 12.11.2018, Az.: 2 K 1637/18.KS) führten letztendlich vor das höchste deutsche Verwaltungsgericht.

Das Bundesverwaltungsgericht hat dann mit Urteil vom 17.03.2021 (BVerwG 3 C 3.20) entschieden, dass bereits nach einer einmaligen Trunkenheitsfahrt mit einer BAK von 1,1 Promille eine MPU gefordert werden kann, wenn Tatsachen die Annahme von künftigem Alkoholmissbrauch begründen. Eine solche T atsache sei gegeben, wenn ab einem Promillewert von 1,1 oder mehr keine Ausfallerscheinungen festgestellt wurden.

Denn bei Personen, die aufgrund ihres Trinkverhaltens eine hohe Alkoholgewöhnung erreicht haben, bestehe eine erhöhte Rückfallgefahr.

Die Trink- oder Giftfestigkeit führe dazu, dass der Betroffene die Auswirkungen seines Alkoholkonsums auf die Fahrsicherheit nicht mehr realistisch einschätzen könne. Von einer Alkoholgewöhnung kann nach Einschätzung des BVerwG ab einer BAK von 1,1 Promille ausgegangen werden, sofern der/die Betroffene keinerlei Ausfallerscheinungen zeigt. Dies stelle eine aussagekräftige Zusatztatsache im Sinne der Fahrerlaubnis- Verordnung (FeV) dar. Denn die Behörde durfte zu Recht annehmen, dass der Kläger regelmäßig trinke und auch in der Zukunft damit die Gefahr bestehe, dass er ein Fahrzeug unter Alkoholeinfluss führe. Dieser zusätzliche Umstand würde daher die Anordnung der MPU rechtfertigen.

In diesem Fall sei es nicht rechtsfehlerhaft, wenn die Fahrerlaubnisbehörde (der Städte, der Landratsämter usw.) gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) annimmt, dass sonstige Tatsachen den Verdacht auch eines künftigen Alkoholmissbrauches im Straßenverkehr rechtfertigen.

Es wird sich zeigen, wie die Fahrerlaubnisbehörden in Hessen und anderswo in Deutschland mit dieser neuen Rechtsprechung in der Praxis umgehen. Für „geübte Trinker“ könnte nun die MPU in manchen Fällen früher als eigentlich im Gesetz vorgesehen kommen.

Jedem Betroffenen kann nur geraten werden, sofort anwaltlich Hilfe in Anspruch zu nehmen.



Bickenbach, den 15.12.2021

Mitgeteilt von
RA Stefan Krump
Dingeldein • Rechtsanwälte

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