Der Europäische Gerichtshof hat sich erneut damit beschäftigt, was mit dem Urlaub des Arbeitnehmers passiert, der noch nicht in natura genommen wurde. Dabei führt er den Weg fort, den er mit seiner Entscheidung zum Urlaubsverfall im Jahr 2021 eingeschlagen hatte. Damals entschied er, dass der Urlaub mit Beginn des nächsten Kalenderjahres nicht bloß aufgrund vertraglicher Regelung verfallen könnte, sondern nur unter der Voraussetzung, dass der Arbeitgeber seiner Mitwirkungsobliegenheit nachgekommen ist.
Ein Jahr später knüpft er an diese Entscheidung an und erklärte nunmehr mit Urteil vom 22.09.2022, dass bei unterlassener Mitwirkung des Arbeitgebers sogar die nationale Regelverjährung nicht mehr greife mit der Konsequenz, dass über Jahre angesammelter Urlaub gewährt bzw. abgegolten werden muss - eine dickköpfige Entscheidung, die die Grundpfeiler des römischen Rechts aushebelt.
Eine Steuerfachangestellte sammelte seit 2011 Urlaubstage an und wollte diese 2018 mit Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses in Geld von ihrem ehemaligen Arbeitgeber ausgezahlt bekommen. Dieser erhob die Einrede der Verjährung.
In Deutschland gilt nach den §§ 195, 199, 214 BGB eine regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren. Ist ein Anspruch verjährt, kann die Einrede der Verjährung geltend machen werden mit der Konsequenz, dass der ursprünglich entstandene Anspruch nicht mehr durchsetzbar ist. Sinn und Zweck der Verjährungsregelung ist die Rechtssicherheit und der Rechtsfriede.
Das Gericht entschied, dass die Einrede der Verjährung nicht greift, sofern der Arbeitgeber zuvor seine Mitwirkungsobliegenheit verletzt hat. Dies begründet es damit, dass die richtlinienkonform auszulegende Regelung in § 7 BurlG spezieller zur allgemeinen Regelverjährung und vor diesem Hintergrund die Regelverjährung unionsrechtswidrig ist.
Im konkreten Fall wurden daher der Steuerfachangestellten die Abgeltung von insgesamt 76 Urlaubstagen zugesprochen.
Ob die Entscheidung letztlich für alle Arbeitnehmer Urlaub ohne Ende bedeutet, liegt am BAG, der die Entscheidung des EuGH umsetzen muss. Dies wird mit der Stellschraube, ob national den Beschäftigten nunmehr die Nachweispflicht auferlegt wird, dass ihnen noch Urlaub zusteht oder ob es ausreicht, dass der Arbeitgeber nicht nachweisen kann, dass er seiner Mitwirkungsobliegenheit nicht nachgekommen ist, zu justieren sein.
Die Entscheidung des EuGH verkennt den Sinn und Zweck des Urlaubs nach dem BUrlG- dieser dient der regelmäßigen Erholung und soll daher grundsätzlich weder angesammelt noch abgegolten werden können. Darüber hinaus hat die Entscheidung an finanziell weitreichende Folgen. Die vertragliche Verfallsklausel dürfte derzeit noch der einzige Rettungsanker sein, um zwischen den Parteien wieder Rechtssicherheit herzustellen - solange der EuGH nicht auch diese Konstellation vorgelegt bekommen. Da sich hier in der höchstrichterlichen Rechtsprechung einiges getan hat, ist man jetzt mehr denn je gut beraten, die Klausel auf ihre Wirksamkeit hin überprüfen zu lassen.
Bickenbach, den 29.09.2022
Mitgeteilt von
RAin Änne Dingeldein
Dingeldein • Rechtsanwälte
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