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Keine Verdachtskündigung ohne vorherige Anhörung

Verdachtskündigung meint die Erklärung einer Kündigung, die auf einem bloßen Verdacht des Pflichtenverstoßes beruht, Tatsachen allerdings nicht bewiesen sind. Diese arbeitsrechtliche Möglichkeit ist außergewöhnlich und wäre vor allem im Strafrecht undenkbar. Sie ist der Situation geschuldet, dass der Arbeitgeber von einem möglichen Pflichtenverstoß eines Mitarbeiters Kenntnis erlangt, den er zu diesem Zeitpunkt noch nicht als sicher gegeben beurteilen kann, allerdings sofort zum Handeln angehalten ist, um andere Mitarbeiter oder das Unternehmen zu schützen. Häufigste Vorfälle sind die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, Körperverletzungen oder Diebstähle.


Checkliste

Einer Verdachtskündigung gehen zumeist schwerwiegende Vorwürfe voraus, die eine Straftat darstellen. Die Rechtsprechung stellt strenge Voraussetzungen an die Rechtmäßigkeit einer Verdachtskündigung. Hier haben wir eine Checkliste aufgestellt für eine Überprüfung, ob die Voraussetzungen einer Verdachtskündigung gegeben sind. Sofern sämtliche Fragen mit "ja" beantwortet werden können, ist die Verdachtskündigung am Maßstab der höchstrichterlichen Rechtsprechung wirksam.


1. Stützt der Arbeitgeber die Kündigung auf den Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung oder strafbaren Handlung?

Für den Fall, dass lediglich eine arbeitsvertragliche Nebenpflicht verletzt wurde, ist die Abmahnung als mildestes Mittel die einzig zulässige arbeitsrechtliche Möglichkeit, den Arbeitnehmer zu warnen, dass ihm im Wiederholungsfalle eine Kündigung drohen kann.

Die Abgrenzung, ob der vermutete Vorfall als eine schwerwiegende Pflichtverletzung eingestuft werden kann, kann anhand § 626 Abs. 2 BGG erfolgen: Ist der Vorfall so schwerwiegend, dass es nach Abwägung beider Interessen für den Arbeitgeber unzumutbar erscheint, den Arbeitnehmer noch unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen? Die außerordentliche Kündigung soll als ultima ratio als letzte Konsequenz in Erwägung gezogen werden. Andernfalls ist eine ordentliche Verdachtskündigung auszusprechen.


2. Lassen sich die starken Verdachtsmomente aus objektiven Tatsachen herleiten?

Sofern dem betroffenen Arbeitnehmer Arbeitszeitbetrug oder Spesenbetrug vorgeworfen wird, sollte dies anhand objektiver Kriterien wie beispielsweise der manipulierten Rechnung oder Abweichungen im Fahrtenbuch zum Kalender bzw. Google Maps nachweisbar sein. Für eine Verdachtskündigung reichen Zeugenaussagen aus.


3. Ist der Verdacht dringend, d. h. es besteht eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Verdacht zutrifft?

Der Verdacht muss zwingend dringlich sein, andernfalls ist es dem Arbeitgeber zumutbar, die Sache zunächst aufzuklären, bevor er arbeitsrechtliche Konsequenzen zieht.


4. Sind die Verdachtsmomente geeignet, das notwendige Vertrauen des Arbeitgebers für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu zerstören?

Der Arbeitgeber ist stets daran gehalten, bei arbeitsrechtlichen Konsequenzen das mildeste aller möglichen Mittel in Erwägung zu ziehen. Die Abstufung erfolgt wie folgt: außerordentliche Kündigung - ordentliche Kündigung - Abmahnung - Ermahnung.


5. Hat der Arbeitgeber alle ihm zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen (z. B. dem Verdächtigen Gelegenheit zur Stellungnahme einräumen)?

Vor Ausspruch einer jeden Verdachtskündigung muss dem betroffenen Arbeitnehmer die Möglichkeit eingeräumt werden, zum Vorwurf angehört zu werden. Dies kann schriftlich oder mündlich erfolgen. Im letzteren Fall sollte ein Gesprächsprotokoll angerfertigt werden. Erst wenn die Anhörung erfolgt ist, beginnt die Zweiwochenfrist für den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung zu laufen. Die Anhörung kann verzögert werden durch krankheits- oder urlaubsbedingte Abwesenheit des betroffenen Mitarbeiters.



Bickenbach, den 04.04.2023

Mitgeteilt von
RAin Änne Dingeldein
Dingeldein • Rechtsanwälte

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