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Entgeltfortzahlung bei staatlicher Gaszuteilung

Der Krieg in der Ukraine erschüttert nun schon sehr lange die Welt. Ausgebreitet hat er sich weltweit in Form von Lebensmittelknappheiten. Nun wird eine neue Stufe der Auswirkungen deutlich sichtbar: die Einstellung der Gaslieferungen von Russland nach Deutschland. Damit geht die Gefahr einer staatlichen Gaszuteilung einher, welche viele Arbeitgeber vor die Frage stellt, wer in einem Fall der Betriebsschließung aufgrund der nicht erhaltenen Gaszuteilung den Arbeitnehmern das Gehalt zahlen muss.


I. Der Grundsatz

Grundsätzlich herrscht im Arbeitsrecht das Gebot "ohne Arbeit kein Lohn". Erbringt der Arbeitnehmer die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung nicht, entfällt auch der Anspruch des Arbeitnehmers auf Lohnzahlung. Fällt jedoch der Umstand, aufgrund dessen der Arbeitnehmer die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung nicht erbringen kann in den vom Arbeitgeber zu verantwortenden Bereich, kann der Arbeitnehmer seinen Lohn trotzdem verlangen. Ist der Grund keinem Bereich zuzuordnen, trägt gemäß § 615 S. 1 und 2 BGB der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls, sodass er den Arbeitnehmern den Lohn zahlen muss. Dies ist der Fall, wenn eine weder vom Arbeitnehmer noch vom Arbeitgeber verschuldete Situation vorliegt, in der der Arbeitgeber die Arbeitsleistung annehmen will, dies aus betriebstechnischen Gründen jedoch nicht kann.

Unter Zugrundelegung dieses Grundsatzes wurde regelmäßig höchstrichterlich anerkannt, dass ein Entgeltanspruch bei Arbeitsausfall infolge eines Energiemangels oder einer Energieversorgungsstörung besteht, indem das Risiko in der Sphäre des Arbeitgebers zu verorten ist.


II. Die aktuelle Situation

In der aktuellen Situation liegt noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung vor. Hinsichtlich möglicher Entscheidungen bestehen in der juristischen Literatur verschiedene Ansätze mit unterschiedlichen Ergebnissen.

Rechtsanwalt Dr. Matthias Köhler (NZA 2022, 1433 ff.) ist der Auffassung, dass zwischen verschiedenen Konstellationen unterschieden werden muss:

  1. Arbeitgeber nutzen Erdgas als Rohstoff zur Weiterverarbeitung
  2. Arbeitgeber benötigen Gas zur Aufrechterhaltung ihres Produktionsprozesses
  3. Arbeitgeber nutzen Gas zur Heizung ihrer Betriebsstätte

Hinsichtlich der ersten beiden Möglichkeiten besteht seiner Meinung nach eine Entgeltrisikotragungspflicht des Arbeitgebers, indem sich ein in § 615 S. 3 BGB angelegtes Risiko realisiere. In der dritten Konstellation hingegen realisiere sich ein allgemeines Lebensrisiko, das nicht vom Arbeitgeber zu verantworten ist. Kann der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer in dieser Konstellation weiterbeschäftigen, auch anderweitig, muss er dies tun. Dann liegt keine Annahmeunmöglichkeit bei Annahmewilligkeit vor, sodass ein Fall des § 615 S. 3 BGB ausgeschlossen ist.


III. Fazit

Es besteht noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung, die eine einheitliche Entscheidungsfindung ermöglicht.

Eine mögliche Entscheidung besteht hinsichtlich verschiedener Fallkonstellationen, wobei der Arbeitgeber eine Entgeltfortzahlungspflicht hat, wenn er Gas als Rohstoff zur Weiterverarbeitung oder zur Aufrechterhaltung ihres Produktionsprozesses benötigen, da sich bei einer Gasknappheit ein Betriebsrisiko realisiere, dass der Arbeitgeber zu tragen hat.



Bickenbach, den 11.11.2022

Mitgeteilt von
WissMit Sabrina Jung
Dingeldein • Rechtsanwälte

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