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Wie berechne ich den Pflichtteilsergänzungsanspruch bei Schenkungen und Eigenschenkungen?


I. Was ist der Pflichtteilsergänzungsanspruch?

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch ist in § 2325 BGB geregelt. Dieser beschreibt die Erhöhung des gesetzlich nach den §§ 2303 ff. BGB zu leistendem Pflichtteil aufgrund einer Schenkung, die der Erblasser vor seinem Tod an einen Dritten gemacht hat. Hierbei sind auch Schenkungen des Erblassers an den Pflichtteilsberechtigten einzubeziehen.


II. Wie wird der Pflichtteilsergänzungsanspruch berechnet?

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch berechnet sich grundsätzlich als Mehr zu dem ohnehin zu leistenden Pflichtteil. Dieser entspricht der Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Diese Werte basieren auf dem Nachlass des Erblassers, mithin auf dem Vermögen des Erblassers zum Todeszeitpunkt. Jedoch kann der Erblasser zuvor über sein Vermögen durch Schenkungen verfügt und dadurch den Nachlass geschmälert haben.

Um dieser Schmälerung im Wege des Pflichtteils gerecht zu werden, bestimmt der Pflichtteilsergänzungsanspruch, dass die Schenkungen der letzten zehn Jahre vor dem Todeszeitpunkt anteilsmäßig, fiktiv auf den Nachlass hinzugerechnet werden. Dabei bildet die Formel, dass in dem ersten Jahr vor dem Todeseintritt Schenkungen mit 10/10 (100 %) berücksichtigt werden, und jedes weitere Jahr zu einem Abzug von 1/10 (10%) führt, sodass nach mehr als 10 Jahren keine Anrechnung mehr erfolgt.

Zeitpunkt der Schenkung Anteil
Innerhalb des ersten Jahres vor dem Todesfall 10/10 = 100 %
Bis zu zwei Jahre vor dem Todesfall 9/10 = 90%
Bis zu drei Jahre vor dem Todesfall 8/10 = 80%
Bis zu vier Jahre vor dem Todesfall 7/10 = 70%
Bis zu fünf Jahre vor dem Todesfall 6/10 = 60 %
Bis zu sechs Jahre vor dem Todesfall 5/10 = 50 %
Bis zu sieben Jahre vor dem Todesfall 4/10 = 40 %
Bis zu acht Jahre vor dem Todesfall 3/10 = 30 %
Bis zu neun Jahre vor dem Todesfall 2/10 = 20 %
Bis zu zehn Jahre vor dem Todesfall 1/10 = 10 %
Ab zehn Jahre vor dem Todesfall Keine Anrechnung

* abgeändert nach: https://www.advocado.de/ratgeber/erbrecht/pflichtteil/pflichtteilsergaenzungsanspruch-bei-schenkungen-berechnung-verjaehrung.html

Dieser fiktive Nachlasswert bildet die Grundlage für die anteilige Berechnung des fiktiven Pflichtteils, wobei die Differenz zum Wert des Pflichtteils ohne Berücksichtigung der Schenkungen, den Pflichtteilsergänzungsanspruch ausmacht.


III. Eigenschenkungen

Eine Besonderheit bei dieser Berechnung bilden die Eigenschenkungen. Dies sind Schenkungen, die der Erblasser an den Pflichtteilsberechtigten erbrachte. Sind die Schenkungen nicht (von Gesetzes wegen) verpflichtend vorzunehmen, sind sie stets zu 100 % in die Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs einzubeziehen.

Hierbei ist zunächst der neue, fiktive Nachlasswert zu errechnen, wobei alle Schenkungen einschließlich der Eigenschenkung zu berücksichtigen sind. Der sich daraus ergebende fiktive Pflichtteilsanspruch ist hinsichtlich des sich zunächst ergebenden Pflichtteilsergänzungsanspruch nun erneut um den Betrag, den die Eigenschenkung ausmacht, zu reduzieren. Die verbleibende Summe bildet, gegenüber dem sich rein aus dem Nachlass ergebenden Pflichtteil, den Pflichtteilsergänzungsanspruch.

Dabei besteht grundsätzlich auch die Möglichkeit, dass die Schenkung den Pflichtteilsergänzungsanspruch deutlich reduziert oder sogar übersteigt und dadurch aufhebt. In letzterem Fall kann dann (mangels Existenz) kein Pflichtteilsergänzungsanspruch geltend gemacht werden.


IV. Fazit

Der Pflichtteilsergänzungsanspruch ist besonders bei Schenkungen relevant. Bei Schenkungen gegenüber Dritten ist die Formel der Berücksichtigung entsprechend des Zeitraums vor dem Todeszeitpunkt vorzunehmen. Die Differenz des sich aus dem Nachlass und dem fiktiven Nachlass ergebenden Pflichtteilsanspruchs macht den Pflichtteilsergänzungsanspruch aus. Handelt es sich um Schenkungen an den Pflichtteilsberechtigten, sind diese unabhängig von deren Zeitpunkt zu berücksichtigen. Diese sind in den fiktiven Nachlass einzuberechnen, jedoch bei Berechnung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs erneut in Abzug zu bringen. Demnach kann sich auch der Wegfall des Pflichtteilsergänzungsanspruch ergeben.



Bickenbach, den 27.07.2023

Mitgeteilt von
WissMit Sabrina Jung
Dingeldein • Rechtsanwälte

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