ARTIKEL

Besonderheiten bei der außerordentlichen Kündigung eines Schwerbehinderten

Außerordentliche Kündigungen sind grundsätzlich ein heikles Thema, bei denen diverse Anforderungen zu beachten sind. Eine besondere Konstellation stellt die außerordentliche Kündigung eines Schwerbehinderten dar, die sich nach den Vorschriften im SGB IX richtet.


Der Antrag auf Zustimmung des Integrationsamts zur Kündigung

Das SGB IX bietet für den Schwerbehinderten einen besonderen Schutz. Diesem darf keine Kündigung ausgesprochen werden, die aus Gründen seiner Schwerbehinderung erfolgen würde. Das Integrationsamt prüft daher vorab die beabsichtigte Kündigung, ob sie diskriminierend ist.

Merke: Die Kündigung eines Schwerbehinderten ohne Zustimmung des Integrationsamtes ist mangels Einhaltung der Form nichtig gemäß § 134 BGB. Wegen § 168 SGB IX kann die Zustimmung auch nicht nachgeholt werden.


Die sachliche Zuständigkeit des Integrationsamtes

Sachlich zuständig für die Entscheidung über den Antrag auf Zustimmung einer Kündigung ist immer das Integrationsamt. Beim Integrationsamt handelt es sich um eine Behörde, die grundsätzlich für die Aufgaben nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 3 des SGB IX) zuständig ist. Seine konkreten Aufgaben nach § 185 Absatz 1 SGB IX sind neben dem Kündigungsschutz noch die Erhebung und Verwendung der Ausgleichsabgabe, die begleitende Hilfe im Arbeitsleben und die zeitweilige Entziehung der besonderen Hilfen für schwerbehinderte Menschen (vgl. § 200 SGB IX).

Hiervon zu unterscheiden ist der Integrationsfachdienst. Hierbei handelt es sich um Dienste, die vom Integrationsamt beauftragt werden, Menschen mit Schwerbehinderung in Arbeit zu vermitteln. Dabei handelt es sich um eine neutrale Institution, deren Hauptaufgabe in der generellen Beratung und Unterstützung sowohl der betroffenen behinderten Menschen als auch der Arbeitgeber für die verschiedenen Situationen im Arbeitsleben liegt. Die Institution ist neben Beratern auch mit Ingenieuren besetzt, die maschinelle Arbeitshilfen für Behinderte entwickeln und in Betrieben einsetzen.

Vorsicht: Wird vom Arbeitgeber versehentlich der Integrationsfachdienst wegen Zustimmung zur Kündigung angerufen, erfolgt keine Weiterleitung von Amts wegen an das sachlich und örtlich zuständige Integrationsamt.


Die örtliche Zuständigkeit des Integrationsamtes

Zuständig ist in der Regel dasjenige Integrationsamt, das in den örtlichen Zuständigkeitsbereich des Firmensitzes des Arbeitgebers fällt. Bei Außendienstmitarbeitern und anderen Arbeitnehmern, die schwerpunktmäßig nicht am Firmensitz arbeiten, kommt es für die örtliche Zuständigkeit dennoch darauf an, von welchem Ort die Weisungen erfolgen bzw. die Gehaltsabrechnungen organisiert werden.

Merke: Meist gibt es einen Sachbearbeiter, der in größeren Gebieten bestimmten Postleitzahlen zugeordnet ist, als direkten Ansprechpartner. Wurde das falsche Integrationsamt angerufen, wird dieses die Sache von Amts wegen an das örtlich zuständige Integrationsamt weiterleiten - die Frist hat dann allerdings schon zu laufen begonnen.


Die zwei-Wochen-Frist für den Antrag

Für den Arbeitgeber bedeutet das, dass er zunächst beim Integrationsamt einen Antrag auf Zustimmung zur Kündigung stellen muss. § 174 SGB IX sieht eine Frist von zwei Wochen vor, innerhalb derer der Arbeitgeber diesen Antrag auf Zustimmung zur Kündigung beim Integrationsamt stellen muss. Die Frist beginnt ab dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber die Kenntnis über die Gründe erlangt, die zur außerordentlichen Kündigung berechtigen.


Die Frist für die Zustimmung

Das Integrationsamt hat nach § 174 Absatz 3 SGB IX zwei Wochen, beginnend ab dem Eingang des Antrags, Zeit, um eine Entscheidung über die beantragte Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung zu fällen. Eine Zustimmung soll nach § 174 Absatz 4 SGB IX durch das Integrationsamt erteilt werden, wenn die außerordentliche Kündigung nicht durch Gründe erfolgt, die in Zusammenhang mit der Behinderung stehen. Das Integrationsamt prüft daher nicht die Wirksamkeit der Kündigungserklärung, diese Prüfung ist den Arbeitsgerichten vorbehalten.


Unverzüglichkeit betreffend die Kündigungserklärung

Erhält der Arbeitgeber die Zustimmung vom Integrationsamt, kann er dem Arbeitnehmer die außerordentliche Kündigung erklären. Sofern die Zustimmung des Integrationsamtes erst nach Ablauf der zwei-Wochen-Frist dem Arbeitgeber zugeht, kann dieser die Kündigung nach Erhalt der Zustimmung "unverzüglich" aussprechen. Nach dem BAG (Urt. v. 27.02.2020 - 2 AZR 390/19) ist die Kündigung dem Schwerbehinderten daher spätestens innerhalb von einer Woche nach Zustimmungserteilung zuzustellen.


Die Fiktion der Zustimmung, die Ablehnung und der Widerspruch

Kann das Integrationsamt die Entscheidungsfindung nicht innerhalb dieser zwei Wochen vornehmen, gilt die Zustimmung als erteilt. Lehnt das Integrationsamt hingegen die Zustimmung ab, kann vom Arbeitgeber nicht wirksam eine Kündigung ausgesprochen werden. Es bleibt ihm die Möglichkeit, gegen die Ablehnung Widerspruch einzulegen - genau, wie dem Schwerbehinderten die Möglichkeit verbleibt, einer Zustimmung zu widersprechen.

Merke: Solange das Integrationsamt noch Rückfragen stellt, ermittelt es noch. Hierzu gehört insbesondere die Anhörung beider Parteien.



Bickenbach, den 20.01.2023

Mitgeteilt von
RAin Änne Dingeldein
Dingeldein • Rechtsanwälte

Alle Beiträge sind nach bestem Wissen zusammengestellt. Eine Haftung für deren Inhalt kann jedoch nicht übernommen werden.