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Verspätet zur Arbeit - Wer trägt das Wegerisiko?

In der kommenden kalten Jahreszeit kann es aufgrund vereister oder schneebedeckter Stra- ßen dazu kommen, dass Menschen zu spät zur Arbeit kommen. Für viele Arbeitnehmer stellt sich dann die Frage, ob die verlorene Arbeitszeit nachgearbeitet werden muss oder ob der Arbeitgeber das Entgelt kürzen kann. Für Arbeitgeber stellen sich die gleichen Fragen, diese könnten aber auch daran denken, Mitarbeiter abzumahnen oder gar zu kündigen.

Grundsätzlich müssen Arbeitnehmer dafür Sorge tragen, rechtzeitig zu Arbeitsbeginn am Arbeitsplatz zu erscheinen. Das sogenannte Wegerisiko trägt der Arbeitnehmer.

Es ist aber zu unterscheiden, ob der Grund für die Verspätung ein allgemeiner Grund ist, der eine Vielzahl von Personen betrifft oder ob es sich um einen Grund handelt, der in der Per- son des Arbeitnehmers liegt. § 616 BGB bestimmt, dass der zur Dienstleistung Verpflichtete des Anspruchs auf die Vergütung nicht dadurch verlustig wird, dass er für eine verhältnismä- ßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschul- den an der Dienstleistung verhindert wird.

Nutzt ein Arbeitnehmer den öffentlichen Nahverkehr und hat der Zug oder Bus Verspätung, liegt kein in der Person des Arbeitnehmers liegender Grund für die Verspätung vor. Kommt der Arbeitnehmer wegen einer solchen Verspätung 30 Minuten zu spät zur Arbeit, verliert er für diese Zeit den Anspruch auf Entgeltzahlung, der Arbeitgeber kann also das Entgelt antei- lig kürzen. Gleiches gilt auch dann, wenn die Verspätung nicht durch die Nutzung des öffent- lichen Nahverkehrs verursacht wird, sondern bei Nutzung eines PKWs oder anderen Ver- kehrsmittels, z.B. bei Stau, Baustellen oder einem Diesel-Fahrverbot.

Beruht die Verspätung auf witterungsbedingten Einflüssen, z.B. Schnee, Glatteis oder umge- stürzten Bäumen bei einem starken Sturm, trägt in der Regel ebenfalls der Arbeitnehmer das Risiko für eine Verspätung. In der kalten Jahreszeit ist regelmäßig damit zu rechnen, dass es zu Schneefällen oder Glatteis kommen kann. Ein starker Sturm mit umgestürzten Bäumen wird in der heutigen Zeit früh genug angekündigt. Ein Arbeitnehmer muss sich auf solche Bedingungen einstellen.

Etwas Anderes gilt dann, wenn die Verspätung durch einen in der Person des Arbeitnehmers liegenden Grund verursacht wird. Der Grund muss sich speziell auf den Arbeitnehmer bezie- hen. Ein solcher Grund kann z.B. eine akute schwere Erkrankung oder der Tod eines nahen Angehörigen sein, die notwendige Pflege eines erkrankten Kindes oder ein Verkehrsunfall. Der Grund darf aber nicht schuldhaft durch den Arbeitnehmer verursacht worden sein. Han- delt ein Arbeitnehmer völlig leichtsinnig oder unverantwortlich und kommt es deshalb zu ei- ner Verspätung, ist von einem schuldhaften Handeln auszugehen, mit der Folge, dass der Vergütungsanspruch entfällt. Nimmt man als Beispiel eine plötzlich auftretende Autopanne in Form eines geplatzten Reifens, würde bei einem gerade erst neu gekauften Reifen, der un- erwartet platzt, kein Verschulden vorliegen. Ist der Reifen aber schon mehrere Jahre alt und war das Platzen des Reifens erkennbar jederzeit zu erwarten, liegt ein Verschulden des Ar- beitnehmers vor, wenn er sich mit einem solchen Reifen auf den Weg zur Arbeit begibt.

Selbst dann, wenn die Verspätung ihren Grund in der Person des Arbeitnehmers hat und kein Verschulden vorliegt, kann es dennoch dazu kommen, dass dem Arbeitnehmer kein Vergütungsanspruch zusteht. Die Vorschrift des § 616 BGB ist nicht unabdingbar. Dies be- deutet, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer in einem Arbeitsvertrag vereinbaren können, dass die Vorschrift des § 616 BGB nicht zur Anwendung kommen soll. Tatsächlich enthalten in der Praxis nicht wenige Arbeitsverträge eine solche Bestimmung.

Wenn es einmal zu einer Verspätung kommt, die nicht entschuldigt ist, sieht das Gesetz als Konsequenz den Wegfall des Entgeltanspruches für die Zeit der Verspätung vor. Der Arbeit- geber kann nicht verlangen, dass die verlorene Arbeitszeit bei Zahlung des vollen Entgelts nach dem Ende der regulären Arbeitszeit nachgeholt wird. Der Arbeitnehmer wiederum hat keinen Anspruch darauf, dass er die verlorene Arbeitszeit nachholen darf. Allerdings bietet sich in der Praxis in den Fällen, in denen es zu einmaligen und geringfügigen Verspätungen kommt, an, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbaren, dass die verlorene Arbeitszeit nachgeholt wird. Bestehen Arbeitszeitkonten oder ist Gleitzeit oder Vertrauensarbeitszeit vereinbart, kommt es ohnehin kaum zu einem Problem bezüglich der Nachholung der Ar- beitszeit.

Eine witterungs- oder verkehrsbedingte Verspätung des Arbeitnehmers kann die Grundlage für eine Abmahnung durch den Arbeitgeber liefern. Dabei kommt es nicht auf die Dauer der Verspätung an. Wenn der Arbeitnehmer zu spät zur Arbeit erscheint, verstößt er gegen seine Pflichten aus dem Arbeitsvertrag und kann deshalb abgemahnt werden, auch wenn es sich um einen einmaligen Verstoß handelt und die Verspätung nur wenige Minuten beträgt.

Um dies zu verhindern, sollte der Arbeitnehmer, der eine Verspätung absehen kann, unbe- dingt den Arbeitgeber informieren, im Normalfall wird ein Arbeitgeber dann von einer Ab- mahnung absehen. Den Arbeitgeber über die Verspätung zu informieren sollte ohnehin selbstverständlich für den Arbeitnehmer sein.

Eine einmalige geringfügige Verspätung wird in Arbeitsverhältnissen, bei denen das Kündi- gungsschutzgesetz anwendbar ist, nicht als Grundlage für eine verhaltensbedingte ordentli- che Kündigung dienen können. Noch weniger kann auf eine einmalige geringfügige Ver- spätung eine außerordentliche fristlose Kündigung gestützt werden.

Kommt es aber häufiger zu Verspätungen und ist der Arbeitnehmer deswegen bereits einmal oder sogar mehrmals abgemahnt worden, kann bei der nächsten Verspätung eine ordentli- che und möglicherweise auch eine außerordentliche fristlose Kündigung durch den Arbeitge- ber ausgesprochen werden. Hinzu kommen in der Folge eine Sperrzeit und eine Minderung der Anspruchsdauer bei dem Bezug von Arbeitslosengeld durch die Bundesagentur für Arbeit.

Ein Arbeitnehmer ist in der kalten Jahreszeit also gut beraten, wenn er sich im Zweifel etwas früher auf den Weg zur Arbeit begibt, um Verspätungen zu vermeiden.

Mitgeteilt von
RA Peer Frank
Dingeldein • Rechtsanwälte

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