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Umgang des Vaters trotz Gefährdung des Kindeswohls

Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 21.09.2022 (XII ZB 150/19) klare Kriterien aufgestellt, nach denen in einem Sorge- oder Umgangsverfahren die Gefahr einer Kindeswohlgefährdung beurteilt werden muss.

Es gibt in der unserer anwaltlichen Praxis immer wieder Fälle, in denen ein Elternteil den anderen verdächtigt, dass von dem Kontakt Gefahren für die Kinder ausgehen können. Die Entscheidung des Bundesgerichtshof zeigt, dass die Hürden für einen kompletten Ausschluss des Umgangsrechts sehr hoch sind, selbst wenn ein Elternteil besonderes Gefährdungspotential aufweist. Ein gewisses - geringes - Restrisiko sei dabei in Kauf zu nehmen.


Konkrete Gefährdungslage

Im vorliegenden Fall hatte ein Vater Umgang mit seinen Kindern begehrt, der in der Vergangenheit Sexualstraftaten gegenüber Minderjährigen - nicht gegenüber den eigenen Kindern - begangen hatte und bei dem vor kurzem zudem kinderpornographische Bilder in geringem Umfang gefunden wurden.

Der Bundesgerichtshof stellt klar, dass die Annahme einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Kindeswohlgefährdung nicht allein auf abstrakte Verdachtsmomente gestützt werden kann. Es muss konkrete Verdachtsmomente geben, dass der Elternteil gegenüber dem Kind übergriffig werden könnte, zum einen durch sexuelle Handlungen, zum anderen durch "Cyber-Sex-Aktivitäten" in Anwesenheit der Kinder. Je schlimmer aber der drohende Schaden, desto eher kann der Umgang des Elternteils mit den Kindern begrenzt oder gar ganz ausgeschlossen werden.


Begleiteter Umgang

Der Umgang der Kinder mit ihren Eltern ist ein hohes Gut. Daher muss auch geprüft werden, ob nicht bestimmte Schutzanordnungen ausreichen, um Übergriffe zu verhindern. In der Praxis bedeutet das, dass die Umgangskontakte in Anwesenheit von Begleitpersonen stattfinden, zum Beispiel anderen Angehörigen (Großeltern, Onkel/Tante etc.) oder von professionellen Umgangsbegleiter:innen.

Sowohl die Vorinstanzen als auch der Bundesgerichtshof haben im vorliegenden Fall eine Gefährdungslage gesehen und auch jeweils eine Umgangsbegleitung für erforderlich gehalten. Das Beschwerdegericht hatte den Umgang mangels geeigneter Personen letztlich abgelehnt, weil eine quasi minutengenaue Überwachung des Vaters und der Kinder nicht gewährleistet sei. Der Bundesgerichtshof hatte hier Bedenken: Es sei nicht erkennbar, warum nicht bereits die generelle Anwesenheit einer geeigneten Begleitperson in der Wohnung während des Umgangs mit den Kindern ausreichen könne, um den Kindesvater in dieser Zeit insbesondere von Cyber-Sex-Aktivitäten abzuhalten und das gerade damit im Zusammenhang stehende Risiko sexueller Grenzverletzungen weitestgehend zu minimieren.



Bickenbach, den 23.01.2023

Mitgeteilt von
RA Martin Wahlers
Dingeldein • Rechtsanwälte

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