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Keine Befreiung vom Verhüllungsverbot im Straßenverkehr bzw. kein Anspruch auf Ausnahmegenehmigung für Gesichtsschleier (Niqab) am Steuer

Zwei Obergerichte in Münster (1) und Koblenz (2) haben sich im Juli bzw. August 2024 mit entsprechenden Anträgen befasst und kommen beide zum Ergebnis, dass das Verhüllungsverbot als Eingriff in die vom Grundgesetz geschützte Religionsfreiheit verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist.


Der Fall

Eine Muslima aus NRW, die aus religiösen Gründen auch beim Führen eines Kraftfahrzeugs ihr Gesicht mit Ausnahme eines Sehschlitzes für die Augenpartie mit einem Gesichtsschleier in Form eines Niqab bedecken möchte, hat keinen Anspruch auf Befreiung vom Verhüllungsverbot am Steuer. Das hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster entschieden und der Berufung der Klägerin gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf nur teilweise stattgegeben.

Die Klägerin wollte beim Autofahren den Niqab tragen. Die Muslima hatte religiöse Gründe angeführt. Sie wollte eine Ausnahmegenehmigung vom Verhüllungsverbot am Steuer erwirken. Die Bezirksregierung Düsseldorf wollte das nicht zulassen. Dagegen hatte sie dann geklagt, zuerst vor dem VG Düsseldorf. Nachdem das VG die Klage abgewiesen hatte, wandte sich die Frau an die das OVG Münster (Urteil vom 05.07.2024, Az. 8 A 3194/21). Doch auch das kam jetzt zu dem Schluss, dass die Frau keinen Anspruch auf Befreiung vom Verhüllungsverbot am Steuer hat.


Die Gesetzeslage

Die im Jahr 2017 in Kraft getretene Regelung in § 23 Abs. 4 Satz 1 Straßenverkehrsordnung (StVO), nach der derjenige, der ein Kraftfahrzeug führt, sein Gesicht nicht so verhüllen oder verdecken darf, dass er nicht mehr erkennbar ist, ist verfassungsgemäß. Das Verhüllungs- und Verdeckungsverbot verfolgt den Zweck, die Erkennbarkeit und damit die Feststellbarkeit der Identität von Kraftfahrzeugführern bei automatisierten Verkehrskontrollen zu sichern, um diese bei Verkehrsverstößen heranziehen zu können. Außerdem schützt es die Rundumsicht des Kraftfahrzeugführers. Mit dieser Zielrichtung dient es dem Schutz hochrangiger Rechtsgüter (Leben, Gesundheit, Eigentum) anderer Verkehrsteilnehmer. Ein allgemeiner Vorrang der Religionsfreiheit vor diesen Rechtsgütern besteht nicht. Individuellen Belangen kann mit der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung Rechnung getragen werden. Auf eine solche Ausnahmegenehmigung hat die Klägerin allerdings keinen unmittelbaren Anspruch. Die Entscheidung steht im Ermessen der Behörde. Allerdings hat die Bezirksregierung Düsseldorf das ihr eingeräumte Ermessen bei der Ablehnung des Antrags auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung bislang nicht fehlerfrei ausgeübt. Deshalb muss sie über den Antrag nochmals entscheiden. Bei ihrer Ablehnungsentscheidung hat die Behörde, so das OVG, die Religionsfreiheit nicht hinreichend mit den für das Verbot sprechenden Belangen abgewogen. Zu Unrecht sei von der Behörde etwa darauf abgestellt worden, dass das Verhüllungs- und Verdeckungsverbot auch die nonverbale Kommunikation im Straßenverkehr sichert. Diese ist, soweit sie im Straßenverkehr überhaupt erforderlich ist, durch den Niqab nicht beeinträchtigt, meint das OVG. Die Annahme der Behörde, dass ein Niqab die Rundumsicht beeinträchtigt, träfe in dieser Allgemeinheit nicht zu, wovon sich der Senat in der mündlichen Verhandlung, an der die Klägerin persönlich teilgenommen hat, überzeugen konnte. Zudem habe die Behörde alternative Möglichkeiten, um die Ziele des Verbots jedenfalls annähernd zu erreichen, wie etwa die Sicherstellung der Identifizierbarkeit der Klägerin durch ein Fahrtenbuch, bislang nicht hinreichend erwogen.


Der Parallelfall

Der Landesbetrieb Mobilität Rheinland-Pfalz hat den Antrag einer Muslima, ihr eine Ausnahmegenehmigung vom Verhüllungsverbot der Straßenverkehrsordnung zum Tragen eines Gesichtsschleiers (Niqab) beim Autofahren zu erteilen, zu Recht abgelehnt. Dies entschied das OVG Rheinland-Pfalz in Koblenz (Beschluss vom 13.08.2024, Az. 7 A 10660/23), das damit das vorangegangene Urteil des VG Neustadt an der Weinstraße bestätigte.

Die Klägerin ist eine Muslimin, deren religiöse Überzeugung ihren Angaben zufolge ihr das Tragen eines Gesichtsschleiers (Niqab) in der Öffentlichkeit gebietet. Im Gegensatz zu einem Kopftuch verhüllt ein sogenannter Niqab nicht nur die Haare sowie ggf. den Hals-, Schulter und Brustbereich, sondern auch das Gesicht mit Ausnahme der Augenpartie. Die Klägerin stellte bei dem beklagten Landesbetrieb einen Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung vom Verhüllungsverbot des § 23 Abs. 4 Satz 1 StVO. Nachdem der beklagte Landesbetrieb den Antrag abgelehnt hatte und ihr dagegen eingelegter Widerspruch erfolglos geblieben war, erhob sie Klage, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgte.

Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab, da die Klägerin keinen Anspruch auf die begehrte straßenverkehrsrechtliche Ausnahmegenehmigung von dem Verhüllungsverbot habe. Den gegen das verwaltungsgerichtliche Urteil gestellten Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte das Oberverwaltungsgericht ab.


Die Einschätzung der Gerichtsurteile

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils habe die Klägerin nicht dargetan. Das Gericht habe ebenso wie die Vorinstanz keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des in § 23 Abs. 4 Satz 1 StVO geregelten Verhüllungsverbots. Der durch das Verhüllungsverbot bewirkte Eingriff in die nach Art. 4 Abs. 1 und 2 Grundgesetz geschützte Religionsfreiheit sei verfassungsrechtlich gerechtfertigt und insbesondere auch verhältnismäßig. Die Regelung diene der allgemeinen Sicherheit des Straßenverkehrs und damit dem Schutz von Grundrechten Dritter auf Leben, körperliche Unversehrtheit und Eigentum, indem sie zum einen dazu beitrage, im Fall automatisiert erfasster Verkehrsverstöße die Identität des Fahrzeugführers festzustellen, und zum anderen der Gefahr von Sichtbehinderungen begegne.


Die Begründung der gerichtlichen Entscheidungen

Die Erteilung der Auflage zur Führung eines Fahrtenbuchs sei entgegen der Ansicht der Klägerin nicht annähernd gleich geeignet zur Identifizierung von Verkehrsteilnehmern im Rahmen automatisierter Verkehrskontrollen, weil eine Fahrtenbuchauflage fahrzeugbezogen sei und die Niqab-Trägerin auch andere Fahrzeuge führen dürfe, für die keine Fahrtenbuchauflage bestehe. Zur Gewährleistung der Rundumsicht des Fahrzeugführers wäre eine solche Fahrtenbuchauflage ohnehin nicht geeignet. Die Eingriffsintensität des Verhüllungsverbots sei entgegen der Ansicht der Klägerin nicht hoch. Durch das Verbot werde niemand unmittelbar an der Praktizierung seines Glaubens gehindert. Bei Befolgung der von ihr als verbindlich empfundenen Bekleidungsvorschriften müsse die betroffene Person lediglich auf das Führen eines (geschlossenen) Kraftfahrzeugs verzichten. Auch im Lichte des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG bestehe kein Anspruch, die mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs verbundenen Vorzüge durchweg zu den Bedingungen der individuell als verpflichtend empfundenen Glaubensgebote in Anspruch nehmen zu dürfen. Das Führen eines Kraftfahrzeugs sei zudem nicht ohne Weiteres zwingend oder alternativlos. Außerdem könne besonderen Ausnahmesituationen Rechnung getragen werden durch die den Straßenverkehrsbehörden eingeräumte Möglichkeit der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung. Die Klägerin habe auch nicht aufgezeigt, dass die Ablehnung ihres Antrags auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung ermessensfehlerhaft gewesen sei. Das Verwaltungsgericht habe bereits zutreffend ausgeführt, dass die von der Klägerin geltend gemachten Knieprobleme nicht erkennen ließen, weshalb ihr die Nutzung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) nicht zumutbar sein sollte, zumal im ÖPNV meistens auch Sitzplätze zur Verfügung stehen dürften. Unabhängig davon könne dem grundsätzlich anzuerkennenden Interesse an Mobilität im Fall der Klägerin dadurch Rechnung getragen werden, dass die Klägerin mit ihrer Fahrerlaubnis berechtigt sei, ein Kraftrad zu führen. Für Krafträder, für die gemäß § 21 a Abs. 2 Satz 1 StVO eine Schutzhelmpflicht angeordnet sei, gelte das Verhüllungsverbot nicht.



Bickenbach, den 02.09.2024

Mitgeteilt von
RA Stefan Krump
Dingeldein • Rechtsanwälte

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