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Impfungen - wenn Eltern sich nicht einig werden können

Nicht immer sind sich Eltern, die ein gemeinsames Sorgerecht ausüben, darüber einige, ob ihr minderjähriges Kind geimpft werden soll. Besonders wenn es sich um Kleinkinder handelt, bei denen sich die Eltern bereits in den ersten Lebensjahren entscheiden müssen, ob ihr Kind Schutzimpfungen gegen Masern, Röteln etc. erhalten soll.
Angesichts der weltweiten Corona-Pandemie könnte diese Thematik darüber hinaus auch in Bezug auf Heranwachsende zu Diskussionen am Esstisch führen.


Wer darf entscheiden, ob das Kind geimpft werden soll oder nicht?

Das Oberlandesgericht Frankfurt musste sich mit der Frage auseinandersetzen, welcher Elternteil bei gemeinsamem Sorgerecht im Falle der Uneinigkeit entscheiden darf, ob das Kind geimpft werden soll (OLG Frankfurt, Beschluss v. 08.03.2021; Az.: 6 UF 3/21).


Gerichtliche Übertragung der alleinigen Entscheidungsbefugnis möglich

§ 1627 BGB regelt grundsätzlich, dass Eltern die elterliche Sorge in eigener Verantwortung und in gegenseitigem Einvernehmen zum Wohl des Kindes auszuüben haben. Bei Meinungsverschiedenheiten müssen sie versuchen, sich zu einigen.

Das bedeutet, dass Eltern mit gemeinsamem Sorgerecht, unabhängig davon, ob sie zusammen oder getrennt leben, bedeutsame Angelegenheiten, die ihr Kind betreffen, wie größere ärztliche Heilbehandlungen (z.B. Operationen) oder Schutzimpfungen, gemeinsam zu treffen haben.

Sollten Eltern sich in solchen Fällen nicht einigen können, kann das Gericht einem Elternteil die alleinige Befugnis übertragen, bestimmte relevante Entscheidungen für das Kind zu treffen.

Nach § 1628 S. 1 BGB kann jeder Elternteil einen Antrag bei Gericht stellen, um die alleinige Entscheidungsbefugnis in einer wichtigen Angelegenheit zum Kindeswohle zu erlangen.


Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main

Im März hatte das OLG Frankfurt am Main zu entscheiden, ob die gemeinsame Tochter (3 Jahre) der Beteiligten Schutzimpfungen für typische Kinderkrankheiten (MMR-Impfung und Impfungen gegen Tetanus und Hepatitis B) erhalten solle oder nicht. Die Eltern des Kindes konnten sich nicht einigen; die Mutter folgte den Empfehlungen der ständigen Impfkommission (STIKO) und sprach sich für eine Impfung aus, während der Vater seine Zustimmung dazu verweigerte. Diese wäre aber wegen der Tragweite der Entscheidung und des gemeinsamen Sorgerechts erforderlich gewesen.

Das Amtsgericht als Familiengericht übertrug der Mutter die beantragte alleinige Entscheidungsbefugnis in Bezug auf die Impfungen ihrer Tochter. Der Vater ging sodann in Berufung zum OLG um zu erreichen, dass ihm die alleinige Entscheidungsbefugnis übertragen wird. Auch wollte er überprüfen lassen, inwiefern das Kind "impffähig" sei.


Entscheidungsbefugnis für den, der den Empfehlungen der STIKO folgt

Auch das OLG Frankfurt am Main sprach der Mutter Recht zu.

Die Richter stellten auf das Wohl des Kindes ab, welches ausschlaggebend für die alleinige Entscheidungsbefugnis sei. Die Impf-Empfehlungen der STIKO für Kinder hätten den Charakter eines vorweggenommenen Sachverständigengutachtens. Daher seien diese von größter Bedeutung um beurteilen zu können, was für das Kindeswohl förderlich sei oder auch nicht.

Elternteile, die den Empfehlungen der STIKO folgen möchten, müsse die alleinige Entscheidungsbefugnis in Hinblick auf das Kindeswohl zugesprochen werden. Schließlich stünden die Vorteile von Impfungen im Vergleich zu den Risiken im Vordergrund. Die Prüfung und Beurteilung der Impffähigkeit des Kindes hätten Ärzte bei der Impfung vorzunehmen.


Zum Wohle des Kindes

Bereits im Jahre 2017 entschieden die Richter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe, dass eine alleinige Übertragung der Impfentscheidung auf einen Elternteil möglich ist, sollten sich Eltern mit gemeinsamem Sorgerecht nicht einig werden können (BGH, Beschluss v. 03.05.2017; Az.: XII ZB 157/16).

Das OLG Frankfurt am Main vertiefte diese Rechtsprechung nun in seiner Entscheidung. Danach kann zum Wohle des Kindes derjenige Elternteil die alleinige Entscheidung über eine Impfung des Kindes treffen, der den Empfehlungen der STIKO folgt.

Angesichts der derzeitigen Corona-Schutzimpfungen werden mit Sicherheit Diskussionen und Streitfälle diesbezüglich zunehmen. Ob ihr Kind geimpft wird, entscheiden grundsätzlich die Eltern mit gemeinsamem Sorgerecht gemeinsam.



Bickenbach, den 13.04.2021

Mitgeteilt von
Ref. Gülsah Bucak
Dingeldein • Rechtsanwälte

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