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Helmpflicht für Fahrradfahrer

Eine bußgeldrechtliche Verpflichtung, einen Fahrradhelm zu tragen (vergleichbar z.B. der seit den 70er-Jahren geltenden Helmpflicht für Motorradfahrer oder der Gurtpflicht für Autofahrer), gibt es in Deutschland bekanntlich nicht. Vielleicht aus gutem Grund?

Der beim Bundesgerichtshof im Schadenrecht zuständige VI. Senat für Zivilsachen hatte zuletzt in 2014 in einer Schadenersatzsache, also quasi "durch die Hintertür", zur "Helmpflicht für Fahrradfahrer" Stellung genommen:

In dem seinerzeit entschiedenen Fall (Aktenzeichen VI ZR 281/13) war eine Fahrradfahrerin, die keinen Fahrradhelm trug, gegen eine sich von innen öffnende Autotür eines am rechten Fahrbandrand parkenden Autos geprallt, war dann gestürzt und hatte sich dabei u.a. schwere Schädel-Hirnverletzungen zugezogen. Die Klägerin war auf der Unfallfahrt mit dem Fahrrad unterwegs zu ihrer Arbeitsstelle gewesen. Einen Fahrradhelm trug sie dabei (vielleicht aus modischen Gründen oder zur Vermeidung einer "Helmfrisur") nicht.

Der Haftpflichtversicherer der PKW-Fahrerin weigerte sich den gesamten Schaden zu tragen und regulierte zunächst nur 50 Prozent. Auch das Oberlandesgericht als zuständige Berufungsinstanz (Schleswig-Holsteinisches OLG, Urteil v. 05.06.2013, 7 U 11/12) über das zunächst angerufene Landgericht gab der Fahrradfahrerin eine Mitschuld von - immerhin - 20 Prozent, weil sie eben keinen Schutzhelm getragen und damit Schutzmaßnahmen zu ihrer eigenen Sicherheit unterlassen habe. Das OLG wies in seiner Entscheidung zwar ausdrücklich darauf hin, dass es keine Helmpflicht für Radfahrer gebe, dennoch treffe die Radfahrerin ein Mitverschulden an den erlittenen Schädel-Hirnverletzungen, weil sie keinen Fahrradhelm getragen habe. Dies ergäbe sich dies aus der gesetzlichen Schadenminderungspflicht. Ein vom Gericht beauftragter Sachverständiger hatte nämlich festgestellt, dass die erheblichen Schädel-Hirnverletzungen durch Tragen eines Helms zwar nicht hätten verhindert werden können, die Verletzungsfolgen wären aber durch einen Helm in ihrer Schwere wohl gemindert worden. Das Tragen eines Helmes sei auch zumutbar. Das Obergericht vertrat durchaus vertretbar die Auffassung, dass mit geringem Kostenaufwand der Fahrradfahrer sein Verletzungsrisiko minimieren könne. Radfahrer seien aufgrund der gegenüber Fußgängern deutlich höheren Geschwindigkeit und ihrer größeren Fallhöhe noch wesentlich stärker gefährdet als diese und sollten daher für ihren erhöhten Schutz sorgen. Aus diesen Gründen trage - so das OLG - ein verständiger Mensch beim Radfahren im Straßenverkehr daher schon aus Eigeninteresse einen Schutzhelm.

Hätte diese Rechtsprechung gehalten, wäre damit eine Helmpflicht "durch die Hintertür", also ohne gesetzliche Vorgabe entstanden.

Die Einführung einer Helmpflicht ist aber Aufgabe des Gesetzgebers, nicht der Rechtsprechung.

Dieses Urteil wurde dann auch vielleicht deswegen vom Bundesgerichtshof am 17.06.2014 aufgehoben:

Das Nichttragen eines Fahrradhelms führt nach Auffassung des Bundesgerichtshofes als Revisionsgericht nicht zu einer Anspruchskürzung wegen Mitverschuldens, denn für Radfahrer ist das Tragen eines Schutzhelms bußgeldrechtlich nicht vorgeschrieben. Zwar könne einem Geschädigten auch ohne einen Verstoß gegen straf- oder bußgeldrechtliche Vorschriften haftungsrechtlich ein Mitverschulden angelastet werden, wenn er diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die "ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt". Dies wäre auch hier zu bejahen, wenn das Tragen von Schutzhelmen zur Unfallzeit nach dem allgemeinen Verkehrsbewusstsein zum eigenen Schutz erforderlich und zumutbar gewesen wäre. Ein solches Verkehrsbewusstsein habe es jedoch - so der Bundesgerichtshof in 2014 - zum Zeitpunkt des Unfalls der Radfahrerin noch nicht gegeben. So trugen nach repräsentativen Verkehrsbeobachtungen der Bundesanstalt für Straßenwesen im Jahr 2011 innerorts nur elf Prozent der Fahrradfahrer einen Schutzhelm.

Inwieweit in Fällen sportlicher Betätigung des Radfahrers, also beim Rennradfahren oder "mountainbiken", das Nichtragen eines Schutzhelms ein Mitverschulden begründen kann, war nicht zu entscheiden, so damals der Bundesgerichtshof. Wird das Radfahren als Sport betrieben und steht dabei die Erzielung hoher Geschwindigkeiten im Vordergrund, besteht wohl die Obliegenheit zum Tragen eines Schutzhelmes. Dies liess der Bundesgerichtshof aber ausdrücklich offen.


Also beim Training kein Helmzwang?

Diesen Fall hatte dann das Oberlandesgericht Celle zu entscheiden und stellte klar: Selbst auf einer Trainingsfahrt besteht keine Helmpflicht, wenn der Radfahrer dabei weder zu schnell noch besonders risikobehaftet fährt. Nur dann, wenn ein Sport-Radfahrer sich im Straßenverkehr bewusst erhöhten Risiken aussetzt, die über das hinausgehen, was jeden normalen „Alltagsfahrer" betrifft und er sich dabei verletzt, kann ihm vorgeworfen werden, dass er keinen Helm getragen habe. In dem vom OLG Celle entschiedenen Fall konnte jedoch gerade keine risikobehaftete Fahrweise festgestellt werden. Der Radfahrer sei zwar auf einem Rennrad zum Zwecke des Ausdauertrainings und auf einer abschüssigen Straße mit einer Geschwindigkeit von 25-30 km/h unterwegs gewesen. Zu der Kollision sei es aber allein gekommen, weil die Beklagte nach links in ein Grundstück habe einbiegen wollen und dabei ihrer Rückschaupflicht nicht nachgekommen sei.

Aktuell hat sich nun wieder ein Obergericht auf eingelegte Berufung gegen ein Landgericht als Eingangsinstanz mit dem Themenkreis befasst:
Auch das OLG Nürnberg (vom 20.08.2020, Az.: 13 U 1187/20) kommt zum Ergebnis:

Das Nichttragen eines Schutzhelms oder Fahrradhelms ist bei einer zu einem Unfall führenden Fahrradfahrt nicht im Rahmen eines Mitverschuldens berücksichtigungsfähig. Allein mit einem allgemeinen Verletzungsrisiko und der Kenntnis davon ist ein verkehrsgerechtes Verhalten jedenfalls nicht zu begründen. Andernfalls müsse bei jeder Tätigkeit mit ähnlichem oder höherem Kopfverletzungsrisiko ein Mitverschulden bejaht werden, wenn der durch einen Sturz Geschädigte keinen Helm getragen hätte.

Es bleibt also dabei: Ohne Helmpflicht für Radfahrer ist diesen auch kein Mitverschulden an der Schwere etwaiger Kopfverletzungen nach einem Unfall anzulasten. Auch wenn bekannt sei, dass Helme Verletzungen erheblich mindern könnten, ist es in Ermangelung einer Verpflichtung zum Tragen derselben nicht zulässig, das Nichttragen zu sanktionieren.



Bickenbach, den 11.12.2020

Mitgeteilt von
RA Stefan Krump
Dingeldein • Rechtsanwälte

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