Manch ein Autofahrer trägt den Sticker auf seinem Heck: „Ich bremse auch für Tiere“. Verursacht er hierdurch einen Auffahrunfall, stellt sich die juristische Frage, ob der Bremser tatsächlich für ein Tier bremsen durfte und inwieweit die Gesamtumstände bei der Beurteilung dieser Frage eine Rolle spielen.
Das Bremsen für eine Taube unmittelbar nach dem Anfahren an einer Ampel erfolgt nicht ohne zwingenden Grund und stellt daher keinen Verstoß gegen § 4 Abs. 1, S. 2 StVO dar. So entschied es das Amtsgericht Dortmund in einer Unfallsache (Az. 425 C 2383/18). Zwei Fahrzeuge hatten vor einer Ampel gewartet. Als diese auf grün schaltete, fuhr das erste Auto los. Nach wenigen Metern bremste der Fahrer jedoch wieder ab, weil – unstreitig - eine Taube auf der Fahrbahn saß. Der nachfolgende Wagen fuhr auf. Der Auffahrende verlangte von dem anderen Fahrer seinen Schaden ersetzt.
Mit dieser Forderung hatte er vor dem Gericht aber keinen Erfolg. Das Gericht verwies auf den Beweis des ersten Anscheins, nach dem der Auffahrende den Unfall schuldhaft verursacht. Die Lebenserfahrung spricht dafür, dass der Fahrer, der auf ein vor ihm fahrendes oder stehendes Fahrzeug auffährt, entweder zu schnell, mit unzureichendem Sicherheitsabstand oder unaufmerksam gefahren ist. Es muss ein solcher Abstand eingehalten werden, dass angehalten werden kann, wenn der Vordermann plötzlich bremst.
Dieser Beweis des ersten Anscheins kann aber grundsätzlich erschüttert bzw. ausgeräumt werden, wenn der Auffahrende einen abweichend anderen, ernsthaften und typischen Ablauf darlegt und beweist. Das konnte der Auffahrende hier aber nicht. Der Anscheinsbeweis ist nicht dadurch erschüttert, dass der andere Fahrer für eine Taube stark gebremst hat. Das Bremsen für eine Taube war nämlich nicht ohne zwingenden Grund, es war also in dieser konkreten Situation kein Verstoß gegen § 4 Abs. 1, S. 2 StVO. Eine Abwägung der gefährdeten Rechtsgüter ergibt, dass hier gebremst werden durfte. Die damit einhergehende Gefahr von Sachschäden an dem eigenen wie an dem fremden Kraftfahrzeug hat keinen Vorrang vor dem Tierwohl. Vielmehr ist hier zu beachten, dass der Unfall bei sehr geringer Geschwindigkeiten im Anfahrvorgang geschah. Aufgrund der geringen Geschwindigkeit waren auch keine Personenschäden zu erwarten. Allein weil es sich bei einer Taube um ein Kleintier handelt, kann nicht verlangt werden, dass das Tier hätte überfahren werden müssen. Das Töten eines Wirbeltiers ist nach dem Tierschutzgesetz grundsätzlich eine Ordnungswidrigkeit. Das war dem Autofahrer nicht zuzumuten. Diese Vorschrift ist auch Folge des im Jahr 2002 in Art. 20a GG aufgenommen Tierschutz als Staatszielbestimmung der Bundesrepublik Deutschlands.
Grundsätzlich wird sich der Auffahrende vorwerfen lassen müssen, nicht genügend Sicherheitsabstand gehalten zu haben, wenn er durch einen - auch abrupten - Bremsvorgang des Vordermanns einen Auffahrunfall verursacht. Er wird diesen Anscheinswebweis nur erschüttern können, wenn der Bremser ohne jeglichen Grund stark abgebremst hat. Eine Taube auf der Fahrbahn stellt allerdings - so die erstinstanzliche Beurteilung - durchaus auch nach Abwägung der Rechtsgüter einen Grund für ein starkes Bremsen dar.
Bickenbach, den 15.10.2025

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RA Stefan Krump
Dingeldein • Rechtsanwälte
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