ARTIKEL

Autofahrer sollte Fußgänger besser misstrauen!

Ein Autofahrer darf nur dann darauf vertrauen, dass ein die Straße überquerender Fußgänger an der Mittellinie Halt machen wird, wenn dessen Verhalten dies nahelegt. Läuft ein Fußgänger eilends auf die Fahrbahn, ohne sich umzusehen, kann kein schutzwürdiges Vertrauen dahingehend entstehen, dass der Fußgänger an der Mittellinie anhalten und sich vergewissern wird, dass kein Autoverkehr herankommt.


Der Fall

Der gegen die Autoversicherung klagende Fußgänger hatte aus Sicht des Autofahrers von links die Straße zu überqueren begonnen. Die Fahrbahn besteht aus zwei durch eine Mittellinie getrennte Fahrstreifen mit jeweils einem Randstreifen, der als Fahrradweg markiert ist. Die Gesamtbreite der Fahrbahn beträgt rund 12,5 m.

Nach Erreichen des vom Autofahrer genutzten Fahrstreifens kam es zur Kollision zwischen dem Fußgänger und dem Fahrzeug, wodurch der Kläger erheblich verletzt wurde.


Das Urteil des BGH

Mit seiner Klage begehrt der Fußgänger - unter Berücksichtigung eines ihn treffenden Mitverschuldens - dass die Autoversicherung ihm 50 % seines zukünftigen Schadens zu ersetzen habe. Das Landgericht hatte die Klage abgewiesen, da der Fußgänger unter Nichteinhaltung seiner Sorgfaltspflichten die Fahrbahn überquert hatte, ohne auf den bevorrechtigten Fahrzeugverkehr zu achten (also Vorfahrtsrecht des Autos).

Der Bundesgerichtshof (BGH) hob in einem aktuellen Urteil vom 04.04.2023 (Az.: VI ZR 11/ 21) das die Erstentscheidung bestätigende Urteil des Berufungsgerichts auf und begünstigte somit den Fußgänger:


Die gerichtliche Begründung

Wenn ein aus Sicht des Autofahrers von links die Fahrbahn querender Fußgänger die Fahrbahn bereits betreten hat und noch in Bewegung ist, dann darf der Autofahrer nicht in jedem Fall darauf vertrauen, dass der Fußgänger in der Mitte der Fahrbahn stehenbleiben und ihn vorbeilassen wird. Richtig handele zwar ein Fußgänger, der beim Überschreiten einer belebten und nicht allzu schmalen Straße zunächst bis zur Mitte geht und dort wartet, bis er auch die andere Fahrbahnhälfte überqueren kann. Es sei aber das Vertrauen des Autofahrers darauf, der Fußgänger werde an einer vorhandenen Mittellinie anhalten und das bevorrechtigte Fahrzeug passieren lassen, dann die Grundlage entzogen, wenn Anlass für den Autofahrer bestehe, am verkehrsgerechten Verhalten des Fußgängers zu zweifeln (hier eilige Bewegung ohne sich umzusehen).

Der Autofahrer hätte laut dem BGH die Möglichkeit berücksichtigen müssen, dass der Fußgänger seinen Lauf über die Fahrbahn bei Erreichen der Mittellinie nicht abrupt abbrechen würde, sondern in einem Zug noch vor dem Auto überqueren wollte. Hierauf hätte er sein Fahrverhalten einstellen müssen.



Bickenbach, den 20.06.2023

Mitgeteilt von
RA Stefan Krump
Dingeldein • Rechtsanwälte

Alle Beiträge sind nach bestem Wissen zusammengestellt. Eine Haftung für deren Inhalt kann jedoch nicht übernommen werden.