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Passgenaue Krankmeldung nach Kündigung ist angreifbar

In der Arbeitswelt misst das BAG im Falle einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aufgrund des allgemeinen Erfahrungssatzes ein hohen Beweiswert zu. Legt der Arbeitnehmer die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor, so hat er bis zu sechs Wochen einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz gegenüber dem Arbeitgeber. Danach muss der Arbeitnehmer von der Krankenkasse Krankgeld beantragen.

Gelingt es dem Arbeitgeber jedoch ernsthafte Zweifel an der sachlichen Richtigkeit des Attests hervorzurufen, muss der Arbeitnehmer vollen Beweis für seine Arbeitsunfähigkeit erbringen. Der hohe Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wird somit durch das Vorlegen konkreter Indizien durch den Arbeitgeber erschüttert. Ein solches konkretes Indiz ist unter anderem laut der jüngsten Entscheidung des BAG, wenn Kündigung und Krankmeldung zeitlich unmittelbar zusammenfallen.


Sachverhalt

Anlass der Entscheidung war die Krankmeldung eines mit Hilfstätigkeiten betrauten Arbeitnehmers einer Zeitarbeitsfirma. Für diese war der Mann seit Mitte März 2021 tätig. Bereits rund einen Monat nach Beginn der Zusammenarbeit wurde der Mitarbeit von dem Verleiher nicht mehr eingesetzt. Am 2. Mai 2022 reichte der Zeitarbeiter dann eine AU ein, die ihn aufgrund einer Infektion der oberen Atemwege bis zum 6. Mai 2022 krankschrieb. Als sie das Attest erhielt, kündigte die Zeitarbeitsfirma das Arbeitsverhältnis ordentlich fristgerecht zum 31. Mai 2022. Mit Attest vom 6. Mai 2022 bis einschließlich 20. Mai 2022 verlängerte der Gekündigte die Krankschreibung mit fortbestehender Diagnose; dann reichte er ein drittes Attest ein, das ihn bis zum 31. Mai 2022 als arbeitsunfähig einstufte. Dieses enthielt als weitere Diagnose einen nicht näher bezeichneten Stresszustand.

Das Unternehmen glaubte dem Mitarbeiter aber nicht, wirklich krank zu sein, und verweigerte die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gem. § 3 EFZG. Dass die Krankschreibung passgenau bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses ausgestellt wurde, während die neue Tätigkeit des Mannes taggenau danach beginnen sollte, machte die Leitarbeitsfirma misstrauisch. Der Beweiswert der AU sei erschüttert, so die Argumentation des damaligen Noch-Arbeitgebers. Der Mitarbeiter klagte hiergegen und war mit seiner Zahlungsklage sowohl erstinstanzlich (ArbG Hildesheim, Urt. v. 26.10.2022, Az.: 2 Ca 190/22) als auch vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachsen (LAG, Urt. v. 08.03.2023, Az.: 8 Sa 859/22) erfolgreich. Der Arbeitgeber legte jedoch erfolgreich Revision vor dem BAG ein.


Entscheidung des BAG

Die erfolgreiche arbeitnehmerseitige Revision vor dem BAG führte zur Abweisung der Klage. Dies begründete das BAG wie folgt:

Schon im Jahre 2021 hat das BAG in einer ähnlichen Sache entschieden und zwar ging es um eine Zahlungsklage einer Arbeitnehmerin, welche mit der Übergabe der Eigenkündigung auch eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einreichte. Das BAG wies die Zahlungsklage ab, aufgrund des Umstands, dass die Übergabe der Kündigung und Ausstellung der Krankschreibung sowie Krankheitsdauer und Ende des Arbeitsverhältnisses passgenau zusammenfielen und der Beweiswert dadurch erschüttert ist.

Mit Blick auf die Entscheidung aus dem Jahre 2021 hat das BAG auch in seiner jüngsten Entscheidung die Zahlungsklage abgewiesen. In solchen Fällen ist es laut dem BAG nicht entscheidend, ob es sich um eine Kündigung des Arbeitnehmers oder eine Kündigung des Arbeitgebers handelt und für den Beweis der Arbeitsunfähigkeit eine oder mehrere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt werden. Entscheidend bleibe stets die einzelfallbezogene Würdigung der Gesamtumstände. Der Beweiswert erschüttert sich folglich in den Fällen wenn eine zeitliche Koinzidenz zwischen Kündigung und Krankmeldung vorliegt oder eine passgenau bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses attestierte Arbeitsunfähigkeit vorliegt und unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Stelle angetreten wird.

Da die Vorinstanzen diese Umstände laut dem BAG nicht ausreichend gewürdigt haben und die Erschütterung des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht angenommen haben, muss der Kläger nunmehr vollen Beweis dafür erbringen, dass er tatsächlich krankheitsbedingt arbeitsunfähig war.


Möglichkeiten der Beweisführung für den Arbeitnehmer

Die Erschütterung des Beweiswerts der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung führt nicht sofort zum Entfall des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung. Wie bereits erwähnt, hat der Arbeitnehmer danach die Möglichkeit den vollen Beweis dafür zu erbringen, dass er tatsächlich krankheitsbedingt arbeitsunfähig war.

Das BAG führt in der aktuellen Entscheidung dazu aus, dass hierzu ein substantiierter Vortrag zum Beispiel darüber erforderlich sei

  • welche Krankheiten vorgelegen hätten,
  • welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden hätten und
  • welche Verhaltensmaßregeln oder Medikamente ärztlich verordnet seien.

Der Arbeitnehmer muss zumindest laienhaft schildern welche konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsunfähigkeit bestanden hätten. Als Beweismittel könnte der Arbeitnehmer unter anderem die Befreiung des behandelnden Arztes von der Schweigepflicht und dessen Vernehmung in Betracht ziehen. Zudem wäre auch die Einholung eines Sachverständigengutachtens oder einer Feststellung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung als Beleg der Arbeitsunfähigkeit.


Fazit

Auf den ersten Blick macht die jüngste Entscheidung des BAG den Anschein, dass die Arbeitnehmer weniger Schutz durch die Gerichte genießen können. Dennoch gilt der gleiche Grundsatz wie vor der Entscheidung. Der Beweiswert wird erst dann erschüttert, wenn der Arbeitgeber konkrete Indizien vorlegt, die die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers in Frage stellen. Der Arbeitnehmer hat wie zuvor aufgelistet die Möglichkeit mit konkreten Beweisen und Tatsachen den Vorwürfen entgegenzutreten. Es kommt immer auf den Einzelfall an.



Bickenbach, den 10.01.2024

Mitgeteilt von
WissMit Rebia Nayir
Dingeldein • Rechtsanwälte

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