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Übergabe einer Immobilie gegen Pflegeverpflichtung

Übergabe einer Immobilie gegen Pflegeverpflichtung: was, wenn die Geschäftsgrundlage wegfällt? (BGH, Urteil vom 09.07.2021, V ZR 30/20)


1.) Allgemeines zu Pflegeverpflichtungen

Überträgt jemand im Zuge seiner Nachlassplanung eine Immobilie an Familienangehörige, kann es sich dabei zum einen um eine reine Schenkung handeln, einen ganz normalen Kaufvertrag, oder aber um etwas dazwischen: Man möchte zwar schon einmal Vermögen übertragen, zum Beispiel um Steuern zu sparen, der nächsten Generation Planungssicherheit zu geben, Pflichtteilsansprüche zu reduzieren etc. Aber man kann oder will die Immobilie noch nicht völlig aus der Hand geben.

Das liegt auf der Hand, wenn man darin noch weiter wohnen möchte oder weil man auf bisher erzielte Mieteinkünfte weiterhin angewiesen ist. In diesem Fall behält man sich etwa ein Wohnungs- oder Nießbrauchsrecht vor. Oder man verlangt einen reduzierten Kaufpreis. Einen Kaufpreis kann man sich auch in Form von Leibrentenansprüchen oder Sachleistungen bezahlen lassen.

Bei Pflegeverpflichtungen handelt es sich um eine solche Form von geldwerten Rechten. In der Regel sind es Großeltern, Eltern oder Schwiegereltern, die sich für den Fall der eigenen Pflegebedürftigkeit vertraglich absichern wollen, vom Empfänger der Immobilie im Fall der Fälle gepflegt zu werden.

Beide Parteien eines solchen Vertrages sollten aber vorab gründlich prüfen, ob eine solche angedachte Pflege im häuslichen Bereich zeitlich und fachlich auf Dauer überhaupt zu leisten ist. Hierbei gibt es im Detail viel zu klären; Wo soll die Pflege erbracht werden? Wer soll sie erbringen? In welchem Umfang: erwartet man menschliche Zuwendung und Handreichungen im Alltag oder wirkliche Pflegeleistungen im Sinne des Sozialrechts, wie sie auch von professionellen Pflegediensten oder -heimen erbracht werden würden?

Häufig sind solche Klauseln in Verträgen nur unzureichend definiert. Und selbst in den wenigen Fällen fehlen Regelungen für den Fall, ob und unter welchen Umständen eine Pflegeverpflichtung wieder entfällt. Was zum Beispiel, wenn der Verpflichtete gar nicht (mehr) in der Lage ist, die erforderliche Pflege zu leisten, weil sie seine Fähigkeiten überschreitet, er wegzieht, er beruflich/zeitlich nicht mehr in der Lage ist, die Pflege zu erbringen? Was, wenn der Berechtigte in ein Pflegeheim umzieht, wo gar keine Hilfe von dritter Seite mehr benötigt wird? Was, wenn die Beteiligten heillos zerstritten sind?


2.) Vertragsanpassung

Ist für solche Fälle nichts ausdrücklich bestimmt, muss der Vertrag im Wege der sogenannten ergänzenden Vertragsauslegung anpasst werden. Zum Beispiel kann, notfalls gerichtlich, in den Vertrag hineingelesen werden, dass der Verpflichtete sich durch Geldleistung durch Leistung eines Kapitalbetrags oder einer Rentenzahlung freikaufen kann.

Nach einer älteren Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 01.02.2002, V ZR 61/01) muss dann folgendes ermittelt werden:

  • Was muss der Übergeber voraussichtlich bezahlen, wenn er die Leistungen künftig von einer dritten Person, z.B. einem Pflegedienst, vornehmen lassen?
  • Was spart der Übernehmer dadurch, dass er die Leistungen künftig nicht mehr erbringen muss?
  • Übersteigt dieser Betrag die Kosten einer Pflegekraft, ist dieser Betrag zu zahlen.
  • Übersteigen hingegen die Kosten einer Pflegekraft die Ersparnis, teilen sich Übergeber und Übernehmer die Differenz.

Ist das nicht möglich, kann sich sogar die Frage stellen, ob nicht nur die Pflegeverpflichtung kaputt ist, sondern gleich der ganze Vertrag. Das ist umso mehr der Fall, wenn das Verhältnis zwischen dem Berechtigten und dem Verpflichteten heillos zerrüttet ist, sodass keiner von beiden mehr ein Interesse daran hat, die einmal eingegangene Verpflichtung zu ehren.


3.) Rücktritt bei Zerrüttung?

Der BGH hat für einen Übertragungsvertrag mit Pflegevereinbarung zwischen Geschwistern kürzlich entschieden:

"Bei einem Übertragungsvertrag mit Pflegevereinbarung unter Geschwistern ist die dauerhafte, von gegenseitigem Vertrauen der Parteien getragene Beziehung im Zweifel Geschäftsgrundlage des Vertrags. Ist das Verhältnis zwischen dem Übertragenden und dem Übernehmenden heillos zerrüttet, führt dies - vorbehaltlich vertraglicher Vereinbarungen - zum Wegfall der Geschäftsgrundlage." (BGH, Urteil vom 09.07.2021, V ZR 30/20)

Dabei ist laut BGH unerheblich, wer an der Zerrüttung schuld ist. Eine Ausnahme liegt nur dann vor, wenn die Zerrüttung dem Übertragenden eindeutig allein anzulasten ist. Er soll sich nicht dadurch von dem Vertrag lösen können, indem er mutwillig Streit vom Zaun bricht. Die Beweislast für diese eindeutige Schuldverteilung liegt allerdings beim Übernehmer.

Das ist vor allem sehr misslich, wenn derjenige für den eigentlichen Streit nichts kann, der Streit aber dennoch letztlich vom Übergeber ausgeht: Gerade im Alter leiden die Menschen unter dem Verlust ihrer Selbstständigkeit und verteidigen diese mit großem Nachdruck gegen Eingriffe von außen. Extrembeispiele sind, wenn derjenige vor sich selbst geschützt werden muss, etwa durch eine Rückgabe der Fahrerlaubnis, das Abklemmen des Herds von Strom- oder Gasversorgung etc.


Welche Folgen hat ein Rücktritt nach dem gesetzlichen Spielregeln?

Ein Übertragungsvertrag mit Pflegeverpflichtung hat Elemente eines Dauerschuldverhältnisses. Zu Deutsch: Der Übernehmer muss die Immobilie zurückübertragen, ist aber von der Pflegeverpflichtung befreit. (BGH, Urteil vom 23.09.1994, V ZR 113/93). Eine Erstattung der geleisteten Pflege oder von Aufwendungen des Übernehmers für die Immobilie durch den Übernehmer etc. kommt dann, anders als bei Verträgen ohne Pflegeverpflichtung, nicht ohne weiteres in Betracht. Wenn beide Parteien an dem Streit Schuld tragen, ist das für den Übernehmer ein hochgradig ungerechtes Ergebnis.

Sind im Vertrag klare Regeln zum Rücktritt aufgenommen, kommt eine Anwendung der gesetzlichen Regelungen zum Wegfall der Geschäftsgrundlage hingegen nicht in Betracht. Um hier für eine gerechte Aufteilung der Risiken zu sorgen, sollten im Vertrag bestimmte Rücktrittsgründe und deren Folgen aufgenommen werden. Dabei sollten auch Fälle der Zerrüttung mit bedacht werden, bei denen die Schuldverteilung nicht eindeutig ist.



Bickenbach, den 11.02.2022

Mitgeteilt von
RA Martin Wahlers
Dingeldein • Rechtsanwälte

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