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Darf ein junges Mädchen eine Beziehung mit einem wesentlich älteren Mann führen?

Im Familienrecht steht stets das Kindeswohl an erster Stelle. Doch was ist, wenn der Jugendliche eine andere Vorstellung davon hat als seine Eltern?

Mitte diesen Jahres befasste sich das Brandenburgerische Oberlandesgericht mit der Frage, welches Gewicht den Meinungen von Heranwachsenden beizumessen ist unter dem Gesichtspunkt des normierten Kindeswohles. Im Fall ging es um eine Beziehung eines 15-jährigen Mädchens mit einem über 30 Jahre älteren Mann. Die Eltern wollten die Beziehung unterbinden, die Tochter hielt fest daran. Sie tauchte unter und verheimlichte ihren Eltern ihren Aufenthaltsort. Als die Eltern sie fanden, brachten sie das Mädchen in einer Psychiatrie unter.

Das Gericht lehnte das von den Eltern geforderte Kontakt- und Näherungsverbot für den Freund ihrer Tochter ab. Der zwangsweise Aufenthalt in der Psychiatrie war nicht gerechtfertigt.

Die Begründung: In der Tat würden dem jungen Mädchen aus dem eskalierten Konflikt Gefahren für ihr Wohl drohen. Die Jugendliche sei in ihrer Entwicklung massiv gefährdet. Der Teenager habe durch den Konflikt mit ihren Eltern jeden gesicherten Halt in ihrer Familie, ihr Zuhause und ihr gesamtes vertrautes soziales Umfeld verloren.

Das Kontaktverbot für den Freund sei jedoch kein angemessenes und wirksames Mittel dagegen. So müsse dabei auch beachtet werden, dass ein solches Kontakt- und Näherungsverbot für den Freund indirekt auch als Verbot für das junge Mädchen wirke. Für den Reifeprozess eines heranwachsenden Jugendlichen sei der Kontakt zu anderen und insbesondere zum anderen Geschlecht unverzichtbar. Dabei müssten die Jugendlichen ihren eigenen Neigungen folgen dürfen.

Die Erziehung zur Mündigkeit erfordere, dass die Eltern ihr Bestimmungsrecht zugunsten bloßer Kontrolle kindlicher Selbstbestimmung zurücknähmen. Anderenfalls könne dies das Wohl des Kindes beeinträchtigen.

Das Gericht nannte die Beziehung eine „schicksalhafte Konfliktsituation“. Es berief sich aber vehement auf das Kindeswohl, das auch solche selbstständigen Entscheidungen der Jugendlichen inbegriffen, die den Eltern nicht passen. Die Entscheidung der Jugendlichen sei als ein Akt der Selbstbestimmung eines heranwachsenden Kindes ein hohes Gewicht beizumessen. Der Kindeswille könne hier nicht übergangen werden, ohne dass dadurch das Kindeswohl gefährdet würde. Im vorliegenden Fall hatte das Mädchen ihren Wunsch, die Beziehung zu ihrem Freund weiter zu leben, „zielorientiert, erlebnisgestützt und stabil“ geäußert.

Fazit: Handelt es sich um eine bewusste Eigenentscheidung des Teenagers, ist diese zu respektieren. Jedes Kind hat das Recht, seine eigenen Erfahrungen zu machen, auch wenn es den Eltern aus ihrer Perspektive weh tut, mit anzusehen. Das urteilende Gericht stellte sich auf die Seite des Mädchens.

Mitgeteilt von
RAin Änne Dingeldein
Dingeldein • Rechtsanwälte

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