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Was ist unter einer vorweggenommenen Abmahnung zu verstehen?

Was eine (einfache) Abmahnung ist, ist größtenteils bekannt: Sie ist ein einseitiger Hinweis des Arbeitgebers auf Pflichtverletzungen, begangen durch den/die Arbeitnehmer/in. Dieser Hinweis kann bei (bereits vorliegenden) Pflichtverletzungen – z.B. gegen den Arbeitsvertrag – die den Arbeitgeber zur Kündigung des Arbeitsvertrages berechtigen würden, ausgesprochen werden. Ein solches Fehlverhalten kann z.B. unentschuldigtes Fehlen, Verspätungen, Schlechtleistung, Missachtung von Weisungen usw. sein. Die (einfache) Abmahnung kann mündlich oder schriftlich erfolgen. Sie wird normalerweise in die Personalakte eingelegt. Der Arbeitnehmer braucht sie nicht gegenzuzeichnen, da es sich um eine einseitige Mahnung des Arbeitgebers handelt.

Die Frage ist jedoch, ob der Arbeitgeber bereits wirksam abmahnen kann, wenn noch kein Pflichtverstoß vorliegt.

Die Idee der vorweggenommenen Abmahnung ist, dass dem Arbeitnehmer bereits vor einem ersten Pflichtverstoß klargemacht wird, welches Verhalten eine Pflichtverletzung darstellt und dass dieses Verhalten eine Kündigung herbeiführen kann. Damit soll der Arbeitgeber in eine Position gebracht werden, in der er bereits bei einem erstmaligen Pflichtverstoß kündigen kann.

Die vorweggenommene Abmahnung wird teilweise wegen der besonderen Hinweis- und Warnfunktion einer Abmahnung äußerst kritisch gesehen. Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein verwies in seinem Urteil vom 29.06.2017 – 5 Sa 5/17 – unter Verweis auf die bisherige Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf, Urteil vom 15.08.2012 – 12 Sa 697/12 – darauf, dass die an die vorweggenommene Abmahnung strenge Anforderungen zu stellen seien. Nach der Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein sie nur dann eine konkrete Abmahnung nach Tatbegehen ersetzen, wenn der Arbeitgeber die vorweggenommene Abmahnung bereits in Ansehung einer möglicherweise bevorstehenden Pflichtverletzung ausgesprochen habe. Dann nämlich sei eine tatsächlich zeitnah vorgenommene Pflichtverletzung des Arbeitnehmers aus Sicht des Arbeitgebers als beharrliche Arbeitsverweigerung anzusehen.

Für eine verhaltensbedingte Kündigung nach einem Pflichtverstoß muss eine negative Prognose vorliegen. Im Regelfall lässt sich eine negative Prognose erst nach einer Abmahnung und einem dann erneuten Pflichtverstoß treffen. In der Abmahnung nämlich wurde dem Arbeitnehmer aufgezeigt, welches Verhalten eine Pflichtverletzung darstellt. Er wird darauf hingewiesen, dass sich eine solche Pflichtverletzung nicht wiederholen darf. Wiederholt der Arbeitnehmer trotz förmlicher Abmahnung dieses Verhalten, rechtfertigt dies in der Regel die negative Prognose, was den Arbeitgeber zur Kündigung berechtigen kann.

Bei einem Verstoß nach einer vorweggenommenen Abmahnung kann nicht grundsätzlich von einer negativen Prognose ausgegangen werden.

Unkonkrete vorweggenommene Abmahnungen dürften deshalb nach einem Pflichtverstoß des Arbeitnehmers keine wirksame Kündigung begründen. Vielmehr muss der Arbeitgeber von einer möglicherweise bevorstehenden Pflichtverletzung Kenntnis haben. Mahnt er dann den Arbeitnehmer ab, mit dem Ziel, diese möglicherweise bevorstehende Pflichtverletzung zu verhindern, und kommt es dennoch zu einem nachfolgenden Verstoß, dann kann die vorweggenommene Abmahnung den Arbeitgeber veranlassen, wirksam das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer zu beenden. Das muss der Arbeitnehmer wissen.

Beispiel:

Deutet ein Arbeitnehmer nach einem abgelehnten Urlaubsantrag an, dass er "dann wohl krank sein müsse", kann der Arbeitgeber eine vorweggenommene Abmahnung mit dem Inhalt erteilen, dass der Arbeitnehmer mit einer fristlosen Kündigung rechnen muss, wenn er an den entsprechenden Tagen der Arbeit unentschuldigt fernbleibt. Fehlt der Arbeitnehmer dennoch unentschuldigt, dürfte wohl gegen ihn eine fristlose Kündigung wirksam erklärt werden können.

Dieses Beispiel zeigt, dass der Arbeitnehmer schon deutliche Pflichtverletzungen begehen muss, welche den Arbeitgeber berechtigen, nach einer vorweggenommenen Abmahnung wirksam zu kündigen. Dennoch sollte der Arbeitnehmer diese nicht allzu leichtfertig hinnehmen. Es zeigt ihm nämlich, wie auch bei der förmlichen Abmahnung, dass der Arbeitgeber sehr kleinlich bei Pflichtverletzungen reagieren wird. Ändert der Arbeitnehmer deshalb sein bisheriges Verhalten nicht, wird der Arbeitgeber veranlasst sein, nach Möglichkeiten zu suchen, die das Arbeitsverhältnis letzten Endes beenden.

Mitgeteilt von
RA Günther Dingeldein
Dingeldein • Rechtsanwälte

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